Totenverse (German Edition)
ist mir ein Rätsel. Wenn Sie mich fragen, hat sie bloß unglaubliches Glück gehabt. Sie war ziemlich hart drauf, trug Jeans und T-Shirts mit Logos von Heavy Metal Bands, trug ihren Umhang offen, damit jeder sehen konnte, dass sie eine Frau war, die machte, was sie wollte. Vielleicht dachten die Leute, sie wäre Mitglied der königlichen Familie, und haben sie deshalb in Ruhe gelassen.«
Katya fiel die abgenutzte Stelle in Kniehöhe von Leilas Umhang ein. »Das klingt jetzt vielleicht dämlich, aber hat sie viel gekniet?«
»Wahrscheinlich.« Faruha lachte bitter. »Sie ist ja andauernd hinter irgendwas in Deckung gegangen, um unbemerkt filmen zu können. Wieso fragen Sie?«
»Weil in ihrem Umhang etwa in Kniehöhe eine abgenutzte Stelle war, die ich mir nicht erklären konnte«, sagte Katya.
»Ja, die kommt wahrscheinlich davon. Um Ihre Frage von vorhin zu beantworten, Leila war ziemlich viel unterwegs und hat Leute gegen sich aufgebracht. Es gab also so einige, die ihr übelwollten, mal abgesehen von der überdurchschnittlich großen Anzahl von Männern in dieser Stadt, die Frauen ohnehin übelwollen, ob sie nun Kameras dabeihaben oder nicht.«
Katya blickte auf ihr leeres Notizbuch. Sie hatte sich auf Faruha konzentriert und gar nicht daran gedacht, sich Notizen zu machen. Jetzt schrieb sie ein paar Stichworte auf. Stadt der Schleier und sexuelle Tabus und Körperverletzung – Polizeiakten überprüfen . »Lassen wir irgendwelche Fremde, die sie durch ihre Filmerei aufgebracht haben könnte, mal einen Moment beiseite«, sagte sie. »Was ist mit Leuten, die sie kannte? Freundinnen – vielleicht ein Freund?«
Faruhas Augen glitzerten zornig. »Tja, also ihr Exmann war ein Vollidiot. Einmal hatte sie tagelang Fieber, und er hat sie nicht mal zum Arzt gebracht. Hat sie einfach auf dem Badezimmerboden liegen gelassen und ihr auch noch ihr Handy weggenommen, weil seins kaputt war. Er war wütend auf sie, weil sie nicht für ihn gekocht oder seine Wäsche nicht gewaschen hatte. Und schließlich ist er einfach gegangen. Dabei hatte sie Typhus, wie sich später herausstellte.«
Katya war entsetzt, aber sie notierte sich Typhus, um ihren Schock zu überspielen. »Wie ist sie denn schließlich zum Arzt gekommen?«
»Ihr Bruder hat sich irgendwann Sorgen gemacht und ist hin, um nach ihr zu sehen. Er musste die Tür von seinem Assistenten aufbrechen lassen. Als sie Leila fanden, lag sie in ihrem eigenen blutigen Kot.« Faruhas Nasenflügel bebten, und sie brauchte einen Moment, um die Fassung wiederzugewinnen. »Das Ganze hatte aber auch was Gutes. Danach hat sie sich nämlich von dem blöden Affen scheiden lassen.«
»Und dann ist sie zu ihrem Bruder gezogen?«
»Ja«, sagte Faruha. »Obwohl damit eine andere Art von Folter anfing.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben sich ständig gestritten, bevor Leila verschwand. Hat Abdulrahman Ihnen das nicht erzählt?«
»Ich hab ihn nicht vernommen.«
»Ja, natürlich nicht.« Faruha drehte einen Stift zwischen den Fingern.
»Worüber haben sie sich denn gestritten?«, wollte Katya wissen.
»Geld. Abdulrahman hat sie kostenlos bei sich wohnen lassen, aber mehr wollte er nicht rausrücken. Und sie brauchte ja Geld für ihr Filmprojekt, für die Kameraausrüstung, Computer, Schneidesoftware und die Herumfahrerei. Schon die Arbeit für den Sender passte ihm nicht, selbst die hätte er ihr am liebsten verboten, und von allem anderen durfte er nichts wissen. Aber mit dem Geld ließ Leila trotzdem nicht locker. Irgendwann wurde Abdulrahman dann wütend, und es flogen die Fetzen.«
»Und was dann?«
»Dann kam sie zu mir.« Faruha stieß einen mütterlichen Seufzer aus. »Sie kam immer zu mir, wenn sie sich mal ausheulen musste. Aber ich hab ihr dasselbe gesagt, was ich ihr auch vorher schon gesagt hatte: dass sie ohnehin nicht auf Kosten ihres Bruders leben sollte. Leila war ein Mensch, den nur finanzielle Unabhängigkeit glücklich gemacht hätte. Finanzielle Unabhängigkeit. Und das wusste sie im Grunde auch.
Um auf Ihre Frage von vorhin zurückzukommen«, fuhr Faruha fort. »Leila hatte auch einen Freund, gewissermaßen. Sie hatte ihn erst vor Kurzem kennengelernt. Er war Amerikaner, aber ich bin ihm nie begegnet.«
Katya war wie elektrisiert. »Wissen Sie, wie er heißt?«
»Walker. Eric Walker.«
Katya zwang sich, die Ruhe zu bewahren, und notierte sich: Eric Walker – Geliebter?
»Leila fand die Amerikaner toll.« Während sie sprach, kletterte Faruha
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