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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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und dadurch irgendwie richtiger, wo Majdi doch in Wirklichkeit weniger von der Materie verstand als Nayir oder der Imam.
    »Wir können gern weiter über die Geschichte des Korans sprechen«, sagte der Imam, »aber ich würde gern etwas über Sie hören. Erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist.«
    Schuldbewusst erinnerte sich Nayir an den zweiten Grund für sein Kommen. »Ehrlich gesagt«, er wurde schamrot, weil er dem Imam nicht schon früher davon erzählt hatte, aber er sprach trotzdem weiter, »ich habe eine Frau kennengelernt. Sogar schon vor einigen Monaten.«
    Hadi zog fröhlich und erwartungsvoll eine Augenbraue hoch. »Ach ja?«
    Und Nayir erzählte. Er musste ganz von vorne anfangen, wie er Katya in der Rechtsmedizin kennengelernt hatte, als er dort war, um im Auftrag der Familie Shrawi Noufs Leichnam abzuholen. Er hatte sich das alles schon Wochen zuvor von der Seele reden wollen, nachdem der Kontakt zwischen ihm und Katya abgerissen war, aber er hatte nicht den Mut dazu gefunden. Außerdem wusste er ja ohnehin, was der Imam ihm sagen würde. Er fürchtete, der Imam könnte seine Meinung über ihn ändern, wenn er die ganze Geschichte seiner Beziehung zu Katya erfuhr, doch diese Sorge war im Grunde bloß törichter Stolz.
    Hadi hörte geduldig zu, trank seinen Tee, nickte gelegentlich und machte mal eine interessierte, mal eine bekümmerte Miene. Als Nayir fertig war, trat nachdenkliche Stille ein.
    »Erklären Sie mir«, sagte der Imam schließlich, »warum Sie so lange nicht mit ihr geredet haben.«
    »Bei unserem letzten Telefonat«, erläuterte Nayir und fuhr sich mit der Hand über den Nacken, »hat sie mir von ihrer neuen Arbeitsstelle erzählt. Ich habe gefragt, ob sie auch mit fremden Männern zusammenarbeiten würde, und ich glaube, die Frage hat sie geärgert. Sie ist keine Frau, die erwartet, dass ich alles verstehen sollte, was sie macht. Sie ist eine gute Muslimin und sie hat auch eine traditionelle Seite –«
    »Das ist gut.«
    »Ja, aber sie hat gesagt, dass sie mit Männern zusammenarbeitet«, erklärte Nayir. »An ihrem neuen Arbeitsplatz.«
    Hadi sah ihn an, als wollte er sagen, nun ja, irgendwann werden wir uns damit abfinden müssen . »Und dann hat sie nicht mehr angerufen, weil sie über Ihre Reaktion verärgert war?«
    »Ich glaub schon.«
    »Und Sie haben sie auch nicht angerufen?«
    »Das wäre unschicklich gewesen.«
    Nayir wollte ihm erzählen, dass sie noch immer Othmans Verlobungsring trug, dass es ihm jedes Mal, wenn er den Ring sah, einen Stich versetzte und dass er keine Ahnung hatte, wie das zu deuten war – hatte sie noch immer Gefühle für Othman? Das wäre eine furchtbare Erkenntnis, weil dann klar wäre, dass Nayir sich mit seinen Hoffnungen zum Narren machte.
    Der Imam lehnte sich zurück, atmete einmal tief durch und blickte dann nachdenklich zur Decke. »Und Sie halten sie für eine gute Muslimin.«
    »Ja.«
    »Trotz der Telefonate.«
    »Ja.«
    »Und obwohl sie darauf bestand, Sie allein zu treffen.«
    Sie hatte immer einen Fahrer , lag Nayir auf der Zunge, doch dann dachte er daran, wie sie unbegleitet auf seinem Boot aufgetaucht war und sie zu zweit zu Mittag gegessen hatten, und er hielt den Mund.
    Hadi beugte sich vor und stellte seine Tasse ab. »Mir scheint, Ihnen liegt etwas an dieser Frau.«
    »Ja.«
    »Und war das schon immer so?«, fragte der Imam zartfühlend.
    Nayir wand sich innerlich. Ja , wollte er sagen. »Ich hätte mich richtig verhalten und sie gefragt, ob sie mich heiraten will, aber sie hatte gerade eine Verlobung mit einem anderen beendet. Ich hatte das Gefühl, dass sie noch nicht so weit war oder die Dinge vielleicht ein wenig überstürzte. Für sich selbst.«
    »Und für Sie?«
    Nayir zuckte nervös die Achseln. Er wollte erklären, wie schwer ihm die Vorstellung fiel, um Katyas Hand zu bitten, wo er sich doch selbst nicht sicher war. Er wollte sagen, wie viel er für sie empfand, wie schön sie war, dass er sie zu Anfang sehr hübsch gefunden hatte, sie jetzt aber, wo er sie besser kannte, eine andere Art von Schönheit besaß, erregend und vertraut zugleich. Dennoch, nachdem er schon so lange mit der Ehe gewartet hatte, wäre es dumm gewesen, eine überhastete Entscheidung zu treffen. Er wollte absolut sicher sein, das Richtige zu tun.
    »Nayir«, sagte Hadi mit unverhofftem Mitgefühl, »Ihre Sorge, Sie könnten überstürzt handeln, halte ich für unbegründet. Gerade Sie gehen doch jedes Problem mit Bedacht an. In diesem

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