Totenwache - Thriller
Scheinwerferlicht. Sie öffnete zuerst das eine, dann das andere Gitter. Nick fuhr durch die geöffneten Schranken, und Riley stieg wieder in den Wagen. Sie streckte sich und verzog das Gesicht - anscheinend hatte sie starke Rückenschmerzen.
»Ich hätte dir doch helfen können, die Schranken zu öffnen«, sagte Nick.
»So hilflos bin ich nun auch wieder nicht.«
»Hab ich auch gar nicht behauptet.«
Sie fuhren sehr langsam weiter. Mencken war tatsächlich eine Geisterstadt - eher eine Filmkulisse als eine richtige Ortschaft. In den seit Jahren vernachlässigten Gärten wuchs gelbes Büffelgras. Die Straßen waren von dichtem Gestrüpp gesäumt, das an manchen Stellen bereits die Bürgersteige erobert hatte.
»Halt bitte an«, sagte Riley.
Direkt vor ihnen klaffte in der Straße ein tiefer Riss, aus dem Rauch aufstieg.
»Ein Problem?«, fragte Nick.
»Als ich das letzte Mal hier war, gab es den Spalt noch nicht. In Mencken kommt es häufiger zu Bodenabsenkungen. Die Stollen verlaufen direkt unter der Stadt. Als die Kumpel sich damals durch die Flöze gegraben haben, haben sie zwar riesige Kohlesäulen als Stützen stehen gelassen,
doch inzwischen frisst sich der Schwelbrand schon seit Jahren durch den Untergrund. Deshalb verbrennen nach und nach auch die Säulen und können jederzeit einstürzen.«
»Und - beunruhigt dich das nicht? Weißt du wenigstens, welche Stellen einsturzgefährdet sind?«
»Nein, das lässt sich nicht so genau sagen. Fahr einfach weiter.«
Nick fuhr langsam über den schmalen Spalt. Riley spähte währenddessen aus dem Rückfenster, bis sie hinter dem Wagen erneut Rauch aufsteigen sah. Sie blickte Nick an und lächelte.
»Das war jedenfalls keine Bodenabsenkung.«
Nick bedachte sie mit einem skeptischen Blick. Inzwischen hatten die beiden die Innenstadt erreicht. Rechts und links überall verlassene Läden und Geschäfte, die wie leere Boxen an der Straße aufgereiht waren. Die Gebäude selbst machten zwar noch keinen baufälligen Eindruck, waren aber durchweg reparaturbedürftig und hätten einen neuen Anstrich vertragen können. Die meisten Fensterscheiben waren zerbrochen - vermutlich unter tatkräftiger Mithilfe der örtlichen Jugend -, und an manchen Stellen hatten sogar Feuer gebrannt. Das Städtchen endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Kurz darauf kamen sie an mehreren Einfamilienhäusern vorbei, die ebenfalls verlassen waren.
»Da vorne links abbiegen«, sagte Riley. »Wir sind gleich da.«
Nach etwa einem halben Kilometer endete die Straße vor einem zweistöckigen weißen Holzhaus. Das Gebäude stand allein - dahinter nichts als der pechschwarze Nachthimmel. Als die beiden näher kamen, fing im Scheinwerferlicht hinter dem Haus plötzlich irgendetwas merkwürdig
zu funkeln an. Nick beugte sich über das Lenkrad und spähte nach oben. Allmählich begriff er, dass der Nachthimmel erst viel weiter oben anfing. Das Glitzern, das ihn irritiert hatte, kam von der riesigen Abraumhalde, von der Riley ihm erzählt hatte.
»Versteh mich nicht falsch«, sagte Nick. »Aber wieso habt ihr das Haus eigentlich behalten?«
»Was hätten wir denn damit machen sollen? Die Stadt ist dem Untergang geweiht.«
»Du meinst die ganze Stadt?«
Riley nickte. »Die Häuser gegen Einsturz zu versichern würde ein Vermögen kosten. Dazu kommen noch potenzielle Gesundheitsrisiken. Zuerst sind die Familien weggezogen, dann die Ladenbesitzer, schließlich auch noch die restlichen Leute. Der Staat Pennsylvania hat zwar eine geringe Entschädigung gezahlt, die aber die Verluste nicht annähernd abdeckt. Solche Kohlebrände gibt es schließlich nicht nur hier in Mencken.«
Links neben dem Haus stand ein großer mit Schindeln gedeckter Schuppen. »Steht der Schuppen leer?«
»Hier steht alles leer. Wir können dort leicht beide Autos verstecken. Wenn wir die Vorhänge zuziehen, können wir sogar die Lampen anzünden, ohne dass uns jemand sieht.«
»Das heißt: In dem Haus gibt es noch Vorhänge?«
»Ja, was denkst du denn?«
Sie gingen gemeinsam zum Haus und traten dann auf die Holzveranda. Die Bretter unter Nicks Füßen gaben bedenklich nach. Als er das Gewicht von den Fersen auf die Zehen verlagerte, fingen die Bretter an zu quietschen.
»Könnte mal wieder renoviert werden«, sagte Riley. Sie nahm den Schlüsselbund aus der Handtasche.
»Was, ihr schließt sogar die Tür ab?«, fragte Nick. »Ist das hier in der Gegend wirklich nötig?«
»Immerhin sind wir in dem Haus aufgewachsen.
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