Totenwache - Thriller
uns tatsächlich gibt. Wir sind der Hund, der den Hühnerstall bewacht. Das heißt, wir helfen dabei, in der Öffentlichkeit jenes Vertrauen zu schaffen, ohne das PharmaGen den Laden sofort dichtmachen könnte.«
»Und warum ausgerechnet Sie? Wieso sind Sie in diesem Gremium vertreten?«
»Wen hätten sie denn Besseres finden können? Ich lehre an einem theologischen Seminar, Dr. Polchak. Wer wäre als Schutzschild gegen unmoralische Machenschaften besser geeignet als jemand wie ich? Ich bin Geistlicher der Episkopalkirche
und dazu noch Ethiker - also doppelt qualifiziert. In aller Unbescheidenheit: Ich bin ein sehr belesener Ethik-Experte mit zahlreichen Publikationen. Trotzdem mache ich mir, was meine Bedeutung für PharmaGen anbelangt, natürlich nichts vor.«
»Sie sind ein sehr bescheidener Mann.«
»Nein, ich bin bloß Realist. PharmaGen ist ein Wirtschaftsunternehmen, kein Debattierclub. Dort geht es vor allem um die reibungslose Abwicklung des operativen Geschäfts - und natürlich um Geld. Einerseits bin ich den Verantwortlichen dort zwar ganz nützlich, andererseits hoffen sie, dass ich keinen Ärger mache. Trotzdem habe ich mir die Freiheit genommen, sie mit einigen unangenehmen Fragen zu konfrontieren.«
»Und - haben Sie damit etwas erreicht?«
Paulos zuckte mit den Achseln. »Ich sehe den Hühnerstall nur von außen. Was in dem Unternehmen wirklich passiert - keine Ahnung, ich bin ja bloß Berater. Wie - und ob - PharmaGen auf meine Empfehlungen reagiert, entscheidet natürlich die Firma selbst.«
»Wer ist eigentlich das zweite Mitglied in dem Ethikrat?«
Paulos verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein interessanter Typ«, sagte er. »Der Mann heißt Julian Zohar und ist Geschäftsführer der Koordinierungsstelle für Organbeschaffung hier in Pittsburgh - kurz COPE.«
»Organbeschaffung?«
»Ja, für Spenderherzen, -lungen, -lebern und so weiter. Die Regierung in Washington hat die Vereinigten Staaten in neunundfünfzig Bezirke eingeteilt. In jedem dieser Bezirke gibt es eine eigene gemeinnützige Koordinierungsstelle, die für die Beschaffung und Vergabe verfügbarer Spenderorgane zuständig ist. Falls Sie Ihren Wagen mal gegen
einen Brückenpfeiler setzen, ruft der Rettungsdienst sofort Dr. Zohar an - vorausgesetzt, Sie haben sich ein kleines rotes Herz in den Führerschein drucken lassen. Zohar überprüft die Wartelisten und wählt dort den ersten potenziellen Empfänger mit Ihrer Blutgruppe aus. Und schon könnten Sie mit Fug und Recht von sich behaupten: I left my heart in Pittsburgh. Zohar leitet die regionale Koordinierungsstelle, die für West-Pennsylvania und, ich glaube, auch für West Virginia zuständig ist.«
»Und wieso ausgerechnet Zohar? Wieso nicht beispielsweise ein anderer Geistlicher der Episkopalkirche?«
»Das müssen Sie Truett fragen. Vielleicht möchte er, dass in seinem Komitee unterschiedliche ethische Positionen vertreten sind.«
»Und vertreten Sie beide tatsächlich so unterschiedliche ethische Positionen?«
»Oh ja, wie Tag und Nacht.«
»Wieso das?«
Paulos stand auf, streckte sich und ging um seinen Schreibtisch herum. »In der Ethik geht es nicht nur darum, was richtig oder falsch ist«, sagte er. »Es geht auch darum, wie man zu solchen Werturteilen gelangt. Als Mitglied der Episkopalkirche, das heißt als Christ, glaube ich, dass jede Ethik ein Fundament braucht, also in einer ewigen, unveränderlichen Wahrheit gründen muss. Erst aus einer solchen Wahrheit lassen sich Kriterien dafür ableiten, was als gut oder böse zu gelten hat. Und ich glaube, dass sich diese Kriterien aus dem Wesen Gottes selbst ableiten.«
»Und Zohar?«
»Wie gesagt - ein interessanter Typ. Zohar hat schon in Bioethik promoviert, als das ganze Forschungsgebiet noch in den Kinderschuhen steckte. Er ist sehr schlau, sehr engagiert und kann andere überzeugen. Außerdem ist er - beziehungsweise
war er - ein international geachteter Bioethiker.«
»Wieso war ?«
»Für Transplantationsmediziner ist die Bestimmung des Todeszeitpunkts von herausragender Bedeutung. Bedingung dafür, dass sie ein Leben retten können, ist stets der Tod eines anderen Menschen. Je früher dieser Tod festgestellt wird, desto besser eignen sich die Organe für eine Transplantation. Das in Amerika und in vielen anderen Ländern allgemein akzeptierte Todeskriterium ist der Hirntod - das Erlöschen sämtlicher Funktionen des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms«, erklärte Paulos und sah
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