Totenwache
in einem Krug mit Basilikum, damit es nicht verweste. Vielleicht sollte sie Krister das Gedicht gelegentlich zu lesen geben.
Während sie darüber nachdachte, nahm Maria ihren Skizzenblock und die Aquarellfarben und ging hinunter an den Strand, um ein wenig zu malen. Nach allen Vorschriften der Kinderfürsorge eine Todsünde. Kinder dürfen nur dann im Kindergarten sein, wenn die Eltern arbeiten oder schlafen. Neulich, als Maria Schichtdienst gehabt hatte und danach nicht schlafen konnte, hatte sie sich die Freiheit genommen und die Verandafenster geputzt. Und was geschah? Mayonnaises Jonna begegnete ihr auf dem Hof des Kindergartens, redete ein paar Worte mit ihr, oberflächlich und hinterhältig, bis die Erzieherinnen vorbeikamen, und da, genau in dem Augenblick, stach sie der Hafer.
»Ich habe gesehen, wie du Fenster geputzt hast«, sagte sie mit überdeutlichen Mundbewegungen, sodass auch ja niemand die Information übersehen und überhören konnte. »Darf man das, wenn man die Kinder im Kindergarten hat? Es besteht doch die Gefahr, dass so was zur Routine wird und das System ausgenutzt wird. Es gibt doch Leute, die ihre Kinder ständig dalassen würden, wenn sie nur dürften«, meinte Jonna mit einem Blick auf das Personal, das Maria trotzdem nicht mit der gewünschten Schärfe zurechtwies.
Du zum Beispiel, dachte Maria. Es gibt nun mal überarbeitete, müde Erwachsene, die sich eine Zeit lang nicht genügend um ihre Kinder kümmern können, weil sie mit sich selbst mehr als genug beschäftigt sind. Ist es denn so gefährlich, ihnen eine Gelegenheit zu geben, sich zu entspannen? Den Kindern bekommt es sicher besser, wenn sie mal eine Weile länger im Kindergarten bleiben, als wenn sie mit einem Erwachsenen zusammen sind, der nervlich am Ende ist. Maria sagte nichts. Jonna würde sicher nach einer derartigen Bemerkung eine noch größere Show abziehen und über alles Mögliche wie Drogenkonsum oder Kindesmisshandlungen reden.
»Durftest du dir Manfreds Fernglas leihen?« War alles, was sie in die gespannte Stille hinein fragte.
Als Maria voller Vorfreude und Ideen mit ihren Farben zum Strand ging, fühlte sie sich trotzdem schuldig, schuldig des illegalen Aquarellfarbenbesitzes und des Pinselmissbrauchs. Jeden Augenblick musste sie damit rechnen, dass Jonna angelaufen kam und fragte, wo sie die Kinder gelassen hätte.
14
Maria hatte gerade begonnen, die Farben anzumischen, als ein Kahn auf den Anleger zuglitt, hinter sich die Möwen wie eine Unheil verkündende Schar. Trotz deren Geschrei hörte sie von weitem die heiseren Rufe des Fischers und eilte auf den Steg. Vollkommen außer sich zeigte der Mann auf das Bootsheck.
»Ich habe einen Toten im Netz. Einen toten Menschen. Er trieb unterhalb von Kronholmen auf der Wasseroberfläche. Ich bin hingerudert, um nachzusehen, was da im Wasser lag. Ihn ins Boot zu ziehen habe ich nicht geschafft. Hab mich auch nicht getraut, den Motor anzuwerfen. Ich hatte Angst davor, dass er wieder ins Wasser fällt, wenn das Netz reißt oder sich in den Motor verwickelt. Ich bin die ganze Strecke hierher gerudert, die ganze Strecke«, stieß er atemlos hervor. Maria konnte sehen, dass sein blaues Fischerhemd ihm schweißnass auf dem Rücken klebte.
Mit vereinten Kräften zogen sie den Körper über den Bootsrand: ein bleicher Mann mittleren Alters. Die aufgeweichte Haut an den Handflächen mit den weißen Furchen machte deutlich, dass er schon längere Zeit im Wasser gelegen hatte. »Ich habe kein Handy. Die ganze Zeit über, während ich ruderte, habe ich mir Vorwürfe gemacht, dass ich kein Handy mitgenommen habe«, sagte der Fischer und schüttelte unglücklich seinen kahlen Kopf, auf dem er eben noch seine Mütze gehabt hatte.
»Dieser Mann ist sicher nicht erst heute ertrunken. Zwei Stunden mehr oder weniger spielen da keine Rolle. Es war klug von Ihnen, den Körper vorsichtig zu transportieren, das macht es der Polizei einfacher, festzustellen, was geschehen ist.«
Maria rief die Vermittlung der Polizei an und hörte, wie die näselnde Stimme des Wachhabenden sich überschlug. Am Anleger begannen sich inzwischen die Leute zu sammeln. Der Strand, der eben noch so still dagelegen hatte, verbarg offenbar mehr Menschen in seinen Mulden und Schilfdickichten, als sie geahnt hatte. Als der Streifenwagen ankam, hatte sich die Menge verfünffacht. Die Presse, die den Code im Polizeifunk verstanden hatte, traf ein, als die Absperrungen gerade fertig waren. Der Reporter von
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