Totenwache
er sagen? Alles abstreiten? Nein, sie musste ihm Auge in Auge gegenüberstehen. Wollte sein Gesicht sehen.
Aufgeregt und unruhig zog sich Maria nach dem Duschen an und ging in den Garten, um die Beete umzugraben. Tränen der Demütigung und der Wut brannten hinter den Augenlidern. Wie ernst war das mit dem jungen Kaugummi kauenden Ding? So bald sie Krister gegenüberstand, wenn möglich ohne Kinder, Schwiegermutter oder Mayonnaise, musste er dazu Stellung nehmen. »Wir sehen uns dann! Küsschen! Küsschen!« Wenn es nun keine gemeinsame Zukunft für sie beide gab? Wie sollte es mit den Kindern weitergehen? Musste sie sich das Sorgerecht mit Schwiegermutter Gudrun teilen? Krister hielt es ja niemals längere Zeit mit ihnen aus. Und hier stand sie, die Betrogene, und säte Salat und Mohrrüben. Wozu eigentlich noch? Maria stieß den Spaten zornig mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft in die Erde. Spatenstich für Spatenstich, bis die Erschöpfung stärker war als die Unruhe. Da beugte sie sich über den Griff und weinte. Manchmal braucht man die Nähe des Erdbodens, um eine Perspektive zu erkennen.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie allein sie war. Alle alten Freunde waren in Uppsala oder besser gesagt übers ganze Land verteilt. Karin wohnte in Uppsala. Die ganze Clique, die immer Silvester, Mittsommer oder Ostern gemeinsam gefeiert hatte, war in alle Winde zerstreut, je nachdem, wo der Einzelne Arbeit gefunden hatte. Maria überdachte ihr Leben, zum ersten Mal, seit sie nach Kronviken gezogen war. Die Tage waren ausgefüllt, aber es gab keine fröhlichen Stunden mehr. Sie fühlte sich isoliert. Keine Erwachsenen im Bekanntenkreis, abgesehen von Jonna und Mayonnaise und selbstverständlich Kristers Familie. Bei der Arbeit war Erika da, aber das war doch etwas anderes als mit Karin, und dann natürlich Hartman. Maria dachte dankbar an ihn. Hartman war ein Prachtkerl. Ein Mann, der gleichermaßen Respekt einflößte, wie er alle anderen respektierte, die Raufbolde ebenso wie die Kollegen. Trotzdem war es nicht das Gleiche, als ob man die alten Freunde um sich hatte. Vielleicht musste man sich das so vorstellen, dass die alte Maria, die in Uppsala gelebt hatte und glücklich gewesen war, nur in deren Gegenwart wieder auferstehen konnte. In diesem Augenblick empfand sie das jedenfalls so. Mit noch immer von Erde und Tränen verschmiertem Gesicht wählte Maria Karins Nummer.
Danach fühlte sie sich besser. Karin hatte sie ebenso sehr vermisst und ernsthaft darüber nachgedacht, sich eine Stelle im Krankenhaus in Kronköping zu suchen. Dort wurden dringend Krankenschwestern gebraucht, und man lockte mit Übernahme der Umzugskosten, einer hübschen Wohnung und 40000 Kronen Handgeld. Karin hatte große Neuigkeiten zu berichten. Sie hatte einen Mann kennen gelernt und war über beide Ohren verliebt.
»Wir haben schon über eine gemeinsame Wohnung gesprochen. Er kann sich vorstellen, nach Kronviken zu ziehen, sagt er. Mal sehen, ob er auch Arbeit findet. Sicher kann ich nichts versprechen«, sagte Karin. »Aber mir liegt sehr daran, in deiner Nähe zu wohnen. Das ist mal ganz klar.« Hinsichtlich Kristers eigenartigem Verhalten konnte Karin Maria nur raten, ihn sich so schnell wie möglich vorzuknöpfen und dann dafür zu sorgen, dass er den Verband abnahm. Die Sterilisation eines Mannes erforderte, wenn’s hoch kam, ein Pflaster auf jeder Seite. Mit einem Verband über den ganzen Bauch wochenlang herumzulaufen war lächerlich. »Das riecht doch ganz nach krankfeiern«, meinte sie.
Nach dem Gespräch mit Karin ging es ihr schon besser, und sie fühlte sich längst nicht mehr so isoliert. Maria begann mit neuem Elan wieder an ihr Kräuterbeet zu denken, obwohl Mayonnaises Autos immer noch dicht an dicht auf dem Rasen standen. In der Bibliothek hatte sie sich alles über Kräuter ausgeliehen. Über Anis konnte man nachlesen, dass ein Aufguss dieses Krauts Mann und Frau Lust aufeinander machte. Das Gleiche stand über die gemeine Ringelblume, Basilikum und Bohnenkraut zu lesen. Vielleicht sollte man einen Liebestrank zusammenbrauen und ihn bei Krister ausprobieren. Einen richtigen Donnerschlag, wie Mayonnaise es ausdrücken würde.
Möglicherweise brauchte man auch nur einen simplen Ouzo, wenn ein bisschen Anis ausreichte, um das Eheleben wieder in Ordnung zu bringen. Auf der anderen Seite regte Giovanni Boccaccios Gedicht über Isabella die Phantasie an. Isabella verwahrte das abgeschlagene Haupt ihres Liebhabers
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