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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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Ich stieg aus, holte mir einen Schutzanzug aus dem Kofferraum und ging dann über den nassen, schwingenden Boden. Hinter mir hörte ich eine Tür zufallen, gefolgt von leisen Stimmen.
    Als ich die Stelle erreicht hatte, an der die Böschung steil abfiel, sah ich, dass unten ein See war, bestimmt künstlich, an dessen schmalem Ufer die Bereitschaftspolizei zwei Zelte errichtet hatte. Zwei Zelte? Für ein Mädchen? Die Zelte waren flankiert von Scheinwerfermasten, einer auf jeder Seite. Irgendwo aus der Ferne war das monotone Brummen der Generatoren zu hören. Der Kies kam unter meinen Füßen ins Rutschen, und mein verstauchter Fuß schmerzte, als ich über die Böschung nach unten kletterte.
    Unten angekommen warf ich einen Blick in das erste Zelt, während ich mir, abgestützt auf den soliden Zeltpfosten, den Schutzanzug überstreifte. Karoly war da, der kleine John und ein Mann, den ich nicht kannte. Und sie. Vom Regen gewaschen lag sie da wie ein molliger, gehäuteter Seehund, den jemand zum Verrotten aufs Eis geworfen hatte. Ihre Haare waren schwarz, und ich bildete mir ein, dass ihre Haut einen hellroten Schimmer hatte. Wie bei einem Baby.
    Ich wäre beinahe mit Bonde Madsen zusammengestoßen, als ich das zweite Zelt betrat, aber er schüttelte nur den Kopf und trat nach draußen. Ein weiterer Beamter, den ich nicht kannte, saß auf einer Kiste im Zelt und telefonierte. Der Mann, der dort drinnen am Boden lag und wie wir einen Schutzanzug trug, glich ganz und gar nicht dem erbärmlichen Kerl aus meinen Fantasien. Es dauerte daher eine Weile, bis ich begriff, dass das Carsten Bjerre war. Er war groß, ein allem Anschein nach attraktiver Mann, ganz anders als der kleine, verwelkte Kerl, den ich mir vorgestellt hatte. Attraktiv, sah man einmal von seinem Kopf ab, der – ich suchte nach dem richtigen Wort – zerschmettert war. Bis zur Unkenntlichkeit. Die rasierten und grotesk wieder aufgemalten Augenbrauen ließen jedoch keinen Zweifel zu. Er musste geblutet haben, ungemein stark, aber der Regen hatte alles weggewaschen und mögliche Spuren vernichtet. Ich lieh mir die Lampe des Polizisten, hockte mich hin und inspizierte seinen Hals. Keine roten Abdrücke.
Er sieht aus wie ein Rockstar
, hatte Anne in der Notaufnahme gesagt. Jetzt nicht mehr, Anne.
    Ich konnte meinen Blick nicht von seinem zerschmetterten Schädel losreißen und spürte eine ungeheure Wut in mir aufkeimen. Er hatte wahrscheinlich nicht viel gespürt. Einer der ersten Schläge musste ihm das Bewusstsein geraubt haben, so dass er, obgleich so übel zugerichtet, kaum gelitten haben konnte. Er hatte ganz sicher nicht bekommen, was er verdiente. Ich hatte Lust, ihn anzuschreien, ihn zu treten, ihn zu packen und zu schütteln, bis er aufwachte. Und ihm dann eine Abrechnung zu verpassen, die er spürte.
    Ein Schrei der Frustration hallte immer noch durch meinen Kopf, als ich kehrtmachte und zurück in das Zelt mit dem Mädchen ging. Der Staatsobduzent hatte gerade sein Thermometer hervorgeholt, fluchte und versuchte es zum Laufen zu bringen. Warum änderten sich bestimmte Dinge einfach nie? Ich reichte ihm mein Thermometer und ging dann zurück zu seinem Wagen, wo ich mir ein Taxi rief.
    Es gab keine Spur von einem Astro Van, und dort unten lag nur ein toter Mann. Irgendwo waren der Kastenwagen und der andere Mann. Ich hatte recht gehabt. Es waren zwei.

ODENSE, 20. OKTOBER 2009
     

28
     
     
    An diesem Dienstag sollte ein Anruf endlich ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
    Es war Herbst geworden. Die Bauern hatten ihre Felder längst gepflügt, und braune Samtmäntel flatterten durch Odense, halb Stadt, halb Land; wir hatten unsere Garderobe längst ausgetauscht, die Wintermäntel hervorgeholt, durch die Kälte rote Hände bekommen und die Heizkörper aufgedreht. Der Fall des Clofazimin-Täters war noch immer frustrierend unabgeschlossen und zehrte an mir. Ich sehnte mich förmlich nach dem abschließenden Kapitel, damit ich das Ganze in eine Schublade packen und vergessen konnte, ein für alle Mal … Schwachsinn! Das würde ich niemals können. Ich sehnte mich ganz einfach nach dem Gefühl ausgleichender Gerechtigkeit. Ein zerschmetterter Schädel war nur das halbe Königreich. Einer fehlte noch. Am liebsten hätte ich diesen anderen Schädel selbst eingeschlagen.
    Meine alten Schlafprobleme flammten wieder auf, und ich lief wie durch einen Nebel aus Müdigkeit, den ich paradoxerweise meinem zunehmenden Schlaftablettenkonsum zu verdanken hatte. Die

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