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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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Geländer und ging nach unten. Vor der Tür stand bereits sein Auto und lief im Leerlauf.
    »Ich muss nur noch kurz etwas aus meiner Wohnung holen«, sagte ich durch die heruntergelassene Scheibe ins Dunkel, in dem nur seine Konturen zu erkennen waren. »Zwei Sekunden.«
    Ich hastete mit der Kippe im Mund durch die Tür des Nachbarhauses, duckte mich unter dem Absperrband hindurch, ging in meine Wohnung und öffnete meinen Tatortkoffer im Flur. Bonde Madsen war berüchtigt dafür, nie die Batterien in seinem Thermometer zu wechseln, also steckte ich meines ein.
    Ich wollte gerade zu ihm ins Auto steigen, als mir die Schutzkleidung einfiel. »Warten Sie, ich muss auch noch meinen Schutzanzug holen«, sagte ich, er aber meinte, ich könne auch einen von ihm nehmen.
    »Steigen Sie ein, damit wir loskommen«, sagte er mit seiner besonderen Stimme. Eine Stimme, die mir immer wieder auffiel, weil man ihr sein wahres Alter so deutlich anhörte. Abgesehen von dem sehr offenen »A« und der überdeutlichen Aussprache gab es noch einen weiteren Aspekt, der ihn alt wirken ließ, den ich aber nicht klar in Worte fassen konnte, wie sehr ich auch darüber nachdachte. Sie wirkte so zerbrechlich wie Porzellan.
    Ich drückte die Kippe mit den Gummistiefeln aus und stieg ein.
    »Sie riechen nach Tabak«, sagte er und wendete das Auto.
    Die Sicht war schlecht. Der Regen prasselte herunter, und die Dunkelheit war irgendwie massiver als sonst in dieser Jahreszeit. Die hellen Streifen, die sich an anderen Tagen oft über den Himmel zogen, waren nirgends zu sehen. Ich sah an Bonde Madsens konzentriertem Gesichtsausdruck und seinem nach vorne gereckten Kopf, dass auch er Schwierigkeiten hatte, sich zu orientieren, und ein Navi hatte er nicht.
    »Wissen Sie, wie man dort hinkommt?«
    »Ich war oft mit den Kindern dort. Das ist eine schöne Gegend da unten.«
    Das mochte stimmen, auch ich hatte schon gehört, dass die Kiesgruben rund um Davinde landschaftlich reizvoll seien und Ornithologen und Naturliebhaber anzogen. Und es gab Wasser, Seen, teils künstlich geschaffen, teils natürlich.
    Als wir die Stadt hinter uns ließen, wurden die Straßen kurviger und leerer; winzige Dörfer glitten wie neblige Kulissen an uns vorbei, als wir hindurchfuhren. Bonde Madsen war ruhig und konzentriert. Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert. Die Scheibenwischer, die dringend ausgewechselt werden mussten, kratzten so laut und nervtötend über die Scheibe, dass ich das Gefühl hatte, verrückt zu werden, wenn ich das Schweigen nicht brach.
    »Wer hat sie gefunden? Ich meine, bei diesem Wetter?«
    Er räusperte sich. »Das ist eine richtig gute Frage. Die Polizei hat einen anonymen Anruf bekommen.«
    »Klingt seltsam.«
    »Ja … durchaus«, sagte er und zeigte nach vorn, wo sich an einem etwas tieferliegenden Ort eine Halbkugel aus Licht abzeichnete. Die orangen Lastwagen der Bereitschaftspolizei, der blaue Kastenwagen und der Ford Mondeo sahen in diesem Licht beinahe unwirklich aus. Bonde Madsen parkte den Wagen neben einem Schild, auf dem
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stand, und stieg aus. Er trug keine Regenkleider, sondern bloß eine normale Jeans und eine Art Leinenjacke. Unbeeindrucktvon dem Regen blieb er einen Moment stehen, bevor er zum Kofferraum ging und ihn öffnete. Er nahm sich viel Zeit, um sich die Schutzkleider überzuziehen. Bonde Madsen schien den Begriff »DNA-Verunreinigung« irgendwie nicht verstanden zu haben, dachte ich müde. Vermutlich fragte er sich auch noch immer, was die Kriminaltechniker eigentlich machten.
    »Kommen Sie«, sagte er und riss mich aus meinen müden Gedanken. Aber ich blieb sitzen. Das grelle Licht, das aus dem Hexenkessel vor uns in den Himmel strahlte, war mir zuwider.
    »Gehen Sie schon mal, ich komme gleich nach«, sagte ich und bereute bereits, mitgekommen zu sein. Ich sah seiner ausladenden Gestalt nach, während er, den Tatortkoffer als Balancestange nutzend, durch den feuchten Sand lief. Seinem Gang war anzusehen, dass der Boden nachgab und er immer wieder mühsam die Füße aus dem Matsch ziehen musste. Endlich hatte er den Rand der erleuchteten Grube erreicht und begann, weiterhin das Gleichgewicht suchend, den Abstieg. Als Letztes verschwand sein Kopf in der Tiefe.
    Ich sah zu den Autos hinüber und erblickte zwei junge Polizisten, die ihre Köpfe aus den Fenstern reckten. Ihre Zigaretten glühten rot im Dunkel. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört und war einem feuchten Nebel gewichen.

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