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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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wütend werden konnten? Und dass Wut ansteckend war?
    Meine Muskeln waren steinhart und angespannt, mein Atem ging schnell und flach. In meinem Kopf spielte sich zum Gott weiß wievielten Mal die Nachtfantasie ab, sie bei lebendigem Leibe zu obduzieren. Zwei Männer, die ich mir noch immer klein und jämmerlich vorstellte und die ihre Gesichter hinter Vollbärten versteckten. In meinem Traum hatte ich sie wie Hunde eingefangen, während die ganze Stadt schlief. Ich hatte sie mit dem curareartigen Stoff, der in jedem Narkosemittel enthalten war, bewegungsunfähig gemacht, sie mit übermenschlichen Kräften in die Rechtsmedizin gebracht und wie Puppen auf die Obduktionstische geschleudert, wo sie liegenblieben, ohne dass ich sie festzubinden brauchte. Ich hatte ihnen das Mittel in solch hoher Dosis gegeben, dass sie außerstande waren, sich zu bewegen oder zu sprechen. Nur ihre Augen verrieten mir, welch unbändige Angst sie hatten, als das Skalpell zum Y-Schnitt ansetzte und unter ihre Haut drang.
Ich weiß, Jungs, im Bauch sind unheimlich viele Nerven
. Wieder und wieder spielte ich die Fantasie vom Augenblick des Fangs bis zu dem Moment durch, in dem ich ihre Organe auf dem Sektionstisch plazierte. Dass diese Vorstellung mir eine ganz besondere Form von Befriedigung verschaffte, wunderte mich nicht. Erst der eine, während der andere mit vor Angst geweiteten Augen zusah, und dann der zweite, langsam und voller Genuss. Diese Fantasie hielt mich wach, und ich war einfach nicht dazu in der Lage, den Film, der sich in meinem Kopf abspielte, anzuhalten. Die Katze lag in ihrem Körbchen im Wohnzimmer, narkotisiert und von jetzt an außerstande, ihren Schwanz als Instrument ihrer Routinekommunikation zu nutzen.
Das war die letzte Katze, die ihr gequält habt.
Drei Mütter und drei Väter hatten ihre Töchter auf die bestialischste Weise verloren.
Das waren die letzten Eltern, denen ihr die Töchter weggenommen habt.
Ich zweifelte keine Sekunde daran,dass Jeanette Lisa Jensen längst tot war. Wer waren diese Menschen, die unter ihrer Haut das gleiche Gewebe, die gleichen Adern, Muskeln und Sehnen hatten wie alle anderen und dennoch so monströs anders waren?
    Die eigentliche Frage aber, die ich mir gestellt hatte, als ich mit meinem kleinen Koffer in der einen und der Transportbox mit der Katze in der anderen Hand in Nkems Wohnung stand, lautete: Wer war ich, die ich in einer leergeräumten Wohnung mit nicht ausgepackten Möbeln und einem ungemachten Bett hauste, in der es neben meinen Klamotten und den Lebensmitteln in der Küche kein anderes Lebenszeichen gab? Lauter tote Räume, ein großes Totenzimmer. Dieses Wort lag mir spontan auf der Zunge, als ich in Nkems Wohnung kam und all die Pflanzen sah, die Zeichnungen, Kerzen, Duftlampen, afrikanischen Masken und Gemälde mit ihren sanften, warmen Farben; im Schlafzimmer hing Henri Matisse, ein Bild in Rot- und Orangetönen. Und überall standen und hingen Fotografien in alten Goldrahmen, die die unzähligen Menschen zeigten, mit denen Nkem verwandt war. Ein dunkelrotes Volantkissen mit dem aufgedruckten Foto einer ihrer Nichten. Auf dem Boden lagen mehrere handgewebte Teppiche, in der Ecke stand eine große Palme und auf dem Tisch ein Strauß Rosen. Alles quoll über vor Leben, es roch sauber und freundlich, und ich spürte eher die Summe von allem als irgendeinen Einzelgegenstand. Hier wohnte ein lebendiger Mensch. Sicher, ich war schon oft hier gewesen, doch erst jetzt fiel mir auf, wie sehr sich Nkems Wohnung von meiner unterschied.
    Als ich endlich kurz davor war, einzuschlafen, klingelte mein Handy, das neben mir auf dem Boden lag. Ich hatte diesen Anruf erwartet, weshalb ich ihn gleich entgegennahm. Als ich hörte, wer es war, stand ich auf und ging in die Küche.
    »Ich dachte, Sie würden gerne mitkommen. So wie die Dinge liegen.« Ich hörte, wie Bonde Madsen nebenher mit einem Glas hantierte. »Ich kann in fünf Minuten bei Ihnen sein«, sagte er leise.
    Das war extrem ungewöhnlich. Die ganze Sache war ungewöhnlich. Aber schließlich hatte sich auch unsere Beziehung verändert.
Ich
hatte sie verändert. Wie genau, das wusste ich allerdings nicht zu sagen.
    Ich sah aus dem Fenster. Es regnete noch immer. Ich zog eine Jogginghose aus meinem Koffer und fand im Flur einen warmen Pullover, der nach Nkem roch. Dann lieh ich mir noch ihre Regensachen, die im Flurschrank lagen. Draußen auf der Treppe zündete ich mir eine Zigarette an, legte meine Hand fest um das

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