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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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wohl die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich zwei derart abnorme Typen über den Weg liefen? Und wasfür eine Beziehung hatten die beiden gehabt? Der eine bestellte Medizin für den anderen und endete mit zerschmettertem Schädel in einer Kiesgrube.
    Kenny Fyn Nielsen hatte mein besonderes Interesse an diesem Fall bemerkt, kam eines Tages in mein Büro und schloss die Tür hinter sich. »Sie müssen das wirklich nicht lesen«, sagte er und legte ein schickes, mit Leder eingebundenes Notizbuch vor mir auf den Tisch. »Von großem ermittlungstechnischem Interesse ist es nicht – er hat mehrere Seiten herausgerissen, vermutlich die interessantesten.« Er setzte sich und beobachtete mich schweigend, während ich das Buch aufschlug und las:
Liebes Tagebuch
, stand dort, geschrieben in einer Handschrift, die so schön und ebenmäßig war, dass sie fast wie gedruckt wirkte. Diese Schönheit jedoch stand in einem starken Kontrast zu der Selbstverherrlichung, die dieser Psychopath auf dem weichen, unlinierten Papier festgehalten hatte. Wie auf eine unsichtbare Schnur gezogen reihten sich die Buchstaben auf, um eine teuflische Wollust zu neuen Taten anzustacheln, sie zu pflegen und zu kultivieren, bis der Verfasser schließlich die Kontrolle verloren hatte und die Buchstaben über den Rand der Seiten zu stürzen drohten, wild durcheinander, wie Zinnsoldaten, die einfach nicht mehr gehorchen wollten.
    »Was meinen Sie?«, fragte Kenny Fyn Nielsen, als ich das dezimierte Tagebuch schließlich zuklappte und ihm zurückgab.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Carsten Bjerre wusste sich auszudrücken. Ich kann das nicht so gut.« Tief in meinem Kopf, weit weg von Kenny Fyn, obduzierte ich wieder ein kleines, bärtiges, jämmerliches Männlein, das sich nicht rühren konnte. Das Einzige, was Kenny Fyn von meiner Wut sehen konnte, waren meine geballten Fäuste.
     
    Nach und nach setzte sich das Puzzle immer weiter zusammen. Der Hautarzt beispielsweise, dessen Patientenakten gestohlen worden waren, konnte sich ziemlich gut an Larry Tang Mortensen erinnern,als die Polizei ihn verhörte. Er beschrieb ihn als einen Mann, der extrem unter Schuppenflechte litt, die sich fast am ganzen Körper ausgebreitet hatte. Er berichtete, dass Tang Mortensen sehr aggressiv und drohend aufgetreten sei, als der Arzt seinen Wunsch abgelehnt hatte, einen Versuch mit Clofazimin zu unternehmen, wie es ihm einer seiner Freunde empfohlen hatte. Zudem sei er ein Mann von nicht gerade schneller Auffassungsgabe. War er deshalb ein so perfekter Partner für den hochbegabten Carsten gewesen? War er jemand, den Carsten Bjerre nach Wunsch manipulieren konnte, jemand, der es, ähnlich wie meine Sekretärin Marianne, einfach nicht gewohnt war, eine Rolle in der
großen weiten Welt
zu spielen? Jemand, der zu guter Letzt und aus Gründen, die wir nur vermuten konnten, zu viel von seinem Puppenspieler hatte und sein übermächtiges Hirn zu Makulatur verarbeitete? All das waren Spekulationen, die wir wohl nie bestätigt bekommen würden.
    In solche Gedanken versunken saß ich da, als das Telefon an diesem Mittwochabend Ende Oktober klingelte. Draußen heulte ein erster Herbststurm und Regen klatschte gegen die Fensterscheibe meines Büros. Am Telefon war mein Kollege Maximilian aus Freiburg, einer der vielen, die ich wegen der roten Farbe um Rat gefragt hatte, während ich in der Sommerhitze frustriert auf Nkems Analyseresultate gewartet hatte.
    »Ich habe ein sechzehnjähriges Mädchen auf dem Sektionstisch liegen«, sagte Maximilian. »Wirklich noch ein Kind. Sie hat so einen merkwürdigen roten Abdruck am Hals. Sieht fast so aus wie das, was Sie damals beschrieben haben, ich dachte …«
    Er zögerte, und ich dachte nach. Ein Kastenwagen, schallisoliert mit Steinwolle und Spanplatten, der offensichtlich als mobile Schlachterei genutzt worden war, war kurz nach dem Mord an Jeanette Lisa Jensen in einem kleinen Dorf unweit der deutschen Grenze gefunden worden.
    Ich begann Maximilian auszufragen, während die Gedanken aufmich einstürmten. Irgendwann bat ich darum, ihn zurückrufen zu dürfen, denn meine Fantasien nahmen überhand. Ich fühlte mich merkwürdig, als sei ich plötzlich nicht mehr ich selbst; Ameisen kribbelten wieder in mir herum, schneller und schneller. Ich sah ihn wieder vor mir, eine jämmerliche Gestalt mit gelben Augen, aber jetzt verwundbar, nicht mehr geschützt von einem Mann, der alles vorhersah und alle nur erdenklichen

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