Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Schönings Büro war klein und dunkel, mit einem Mahagonischreibtisch und einem passenden Regal. Er selbst trug einen dunkelmelierten Anzug aus Wolle. Statt der Anzugjacke streifte er sich einen Kittel über, den er aus einem Schrank hinter seinem Schreibtisch nahm. »Wir können gleich nach unten gehen«, sagte er. Als er zur Tür ging, fiel sein Blick auf meinen Fuß.
»Was ist denn mit Ihrem Knöchel passiert?« Er starrte lange auf meinen dicken Verband und den blauen Überschuh.
»Bloß eine kleine Verstauchung.«
»So ein Pech. Können Sie gehen?«
»Langsam«, sagte ich, und obwohl die Schmerzen nicht gerade weniger wurden, bemühte ich mich, nicht zu humpeln, als ich Schöning durch einen langen Flur folgte. In einem kleinen Erker saß ein Mann mit weißem Kittel, weißer Hose und weißen Holzclogs und las an einem Computertisch Zeitung. Dr. Schöning bellte ihm in einem für mich unverständlichen Dialekt einen Befehl zu. Vielleicht redete er aber auch einfach nur zu schnell für mich. Ich folgte ihm weiter bis zum Ende des Flurs, wo er eine Tür öffnete. Der diskrete und in höchstem Maße vertraute Geruch von Desinfektionsmittel verriet mir, dass wir den Obduktionsflur erreicht hatten. Wie in Kopenhagen lagen hier mehrere Obduktionsräume Seite an Seite. Dr. Schöning führte mich zu dem letzten und gleichzeitig größten der Räume, in dem die Obduktionen von Mordopfern vorgenommen wurden.
Wir standen eine Weile schweigend in der Mitte des Raumes und warteten, Maximilian Schöning mit eng geschlossenen Beinen und geradem Rücken, den Blick auf die Tür vor uns gerichtet. Die Sekunden verstrichen nur schleppend, ihre langsamen Schritte hallten in der Uhr über der Tür wider. Endlich ging die Tür auf, und der weiß gekleidete Mann aus dem Erker schob eine Bahre herein, auf der ein Leichensack mit einem recht kleinen Menschen darin lag. Dr. Schöning öffnete den Reißverschluss und drückte das knisternde Plastik des Sackes zur Seite. Ein auffallend kleines, blondes Mädchenkam zum Vorschein. Ich konnte kaum glauben, dass sie schon sechzehn war. Das Muster der Schnitte und Stiche sprach Bände, und der rote Abdruck an ihrem Hals war unverkennbar identisch mit dem bei Emilie, was ich Dr. Schöning auch sagte. Er musterte mich eingehend, während ich auf die Details einging, die ich ihm am Telefon noch verschwiegen hatte.
»Woher wissen Sie, dass sie mit ihrem gebrochenen Handgelenk in der Notaufnahme war?«, fragte ich schließlich.
»Ich habe den Bruch bei der Obduktion bemerkt, und die Eltern erwähnten ihn, als ich mit ihnen gesprochen habe. Warum?« Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Weil unsere ermordeten Mädchen auch alle mit diversen kleineren Verletzungen in der Notaufnahme waren, und weil sich herausgestellt hat, dass die beiden Täter dort als Krankenträger gearbeitet haben und die Mädchen ohne Schwierigkeiten ausspionieren konnten.«
Ein Muskel in Dr. Schönings Gesicht zuckte. »Interessant«, sagte er kalt, nachdem er mich mit seinem finsteren und unangenehmen Blick eine Weile fixiert hatte. Aus meiner Tasche holte ich die Titelseite der
Fyens Stiftstidene
heraus und reichte sie ihm. Larry Tang Mortensens und Carsten Bjerres Gesichter waren Seite an Seite darauf abgebildet. Unter Carsten Bjerre stand ERMORDET, unter Larry Tang Mortensen VERSCHWUNDEN. Ich übersetze für Dr. Schöning. »Die haben das gemeinsam gemacht«, sagte ich. »Sehr ungewöhnlich.«
Dr. Schöning nickte. »Sehr.« Die Pulsader an seinem Hals zuckte rhythmisch.
»Larry Tang Mortensen hat Carsten Bjerre getötet. Zumindest vermuten wir das.«
»Hat die dänische Polizei Kontakt mit den Kollegen in Freiburg aufgenommen?« Er stand plötzlich sehr dicht bei mir. Ich wich ein Stück zurück.
»Äh, das weiß ich nicht … ich habe die Polizei jedenfalls noch nicht von Ihrem Anruf informiert. Vielleicht könnten Sie …«
»Ich werde mich darum kümmern.« Er nickte dem Weißgekleideten zu und verließ das Obduktionszimmer. Als er mir die Tür zum Hauptflur aufhielt, fragte er mich nach meinen weiteren Plänen und wollte wissen, ob ich geflogen war und gleich wieder nach Dänemark zurück wollte.
Plötzlich bekam ich Angst, er könne mich irgendwohin zum Essen einladen. Das würde ich nicht ertragen.
»Nein, ich bin mit dem Auto gekommen. Ich habe ein paar Tage frei, will ein paar Freunde besuchen und im Schwarzwald ein bisschen wandern …«
Er unterbrach mich und warf einen Blick auf meinen bandagierten
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