Totenzimmer: Thriller (German Edition)
in einem Traum, in einem Film, schneller als jeder Gedanke. Mit einer schnellen Bewegung betrat ich seine Wohnung und stieß die Tür mit dem Fuß hinter mir zu. Er hatte es gerade noch geschafft zu registrieren, wer ich war, aber da war die Klinge auch schon in sein Auge gedrungen. Er schrie wie ein Tier, seine Finger tasteten wild über sein Gesicht, aber ich ließ das Messer keine Sekunde los, sondern zog es wieder heraus, bevor er es packen konnte. Er schrie weiter und weiter, und mir war das alles viel zu laut. Ich stieß ihn heftig weg, so dass er nach hinten in die Wohnung taumelte. Noch immer tasteten beide Hände über sein Gesicht, huschten wie verschreckte Insekten über Stirn, Wangen und Nase. »Halt den Mund, sonst erwischt der nächste Stich dein Herz«, sagte ich und wunderte mich über meine Stimme. Sie klang wie die eines anderen. Tang Mortensen war jetzt auf die Knie gesackt, bedeckte mit den Fingern sein Auge und jammerte unentwegt. Ich fühlte mich eiskalt, meine Angst war komplett verschwunden.
»Leiser«, sagte ich und trat ihn. Sein Körper war weich vor Fett. »Dreh dich auf den Bauch und leg die Hände auf den Rücken.« Er jammerte noch immer, tat aber, was ich verlangte. Ich legte ihm Großvaters Handschellen an und drehte ihn wieder auf den Rücken.
»Wen kennst du hier in der Stadt? Mit wem arbeitest du zusammen?« Sein Auge war dunkelrot und blutete, die Klinge des Messers war durch das untere Augenlid gedrungen. Ob das andere Auge gelb war, konnte ich bei dem erbärmlichen Licht in der Wohnung nicht erkennen.
»Niemand. Ich bin allein«, heulte er und versuchte mit dem verletzten Auge zu blinzeln,
»Warum Freiburg? Wen kennst du hier?«
Er jammerte nur, sagte aber nichts.
»Ein Auge hast du noch.« Ich klang wie ein knurrender Hund und erschrak vor mir selbst. »Wen kennst du hier in der Stadt?«, fragte ich wieder.
»Nur Maximilian!«, schrie er.
»Maximilian?«, platzte ich hervor, trat einen Schritt zurück und sah mich um. Plötzlich war alles anders. Mein Körper fühlte sich mit einem Mal ganz leicht an und zitterte vor Adrenalin.
»Du meinst … Dr. Maximilian Schöning?«
»Ich kenne seinen vollen Namen nicht. Ich weiß nur, dass er Maximilian heißt und Arzt ist, also Rechtsmediziner.«
»Weiß er, dass du das sechzehnjährige Mädchen getötet hast?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das weiß er nicht, sonst wäre er stinkwütend.«
»Stinkwütend«, wiederholte ich und ließ das Wort auf mich wirken.
»Das klingt für mich ein bisschen merkwürdig. Das musst du mir erklären. Woher kennst du ihn?«
»Über Carsten.« Er jammerte wieder. »Ich kenne ihn über Carsten.«
Er heulte immer weiter. Langsam machte er mich wütend. Ich trat ihn so fest ich konnte; und er ächzte, als ginge ihm die Luft aus.
»Erzähl mir von ihm. Was hatte Carsten mit Maximilian zu tun? Wenn ich du wäre, würde ich jetzt ganz schnell antworten.«
Sein Unterkiefer zitterte, er stammelte, jammerte und blinzelte, aber mit Hilfe ein paar weiterer Tritte bekam ich endlich all das schockierend Grausame aus ihm heraus: die unvorstellbaren Treibjagden auf die Nutten, die ein Frankfurter Börsenmakler in seinem dicken Auto aufgesammelt hatte. Die Touren durch all die dichtenWälder Deutschlands, die langsamen Messermorde und die schnellen Beerdigungen an Ort und Stelle im weichen Waldboden. Noch bevor er fertig war, wusste ich, dass ich so schnell wie möglich hier wegmusste. Ich stand auf und spürte die Panik wie eine Hitzewelle über mich schwappen. Ich war gekommen, um ihm so viel Schmerzen wie möglich zu bereiten und ihm dann das Messer ins Herz zu bohren. Aber das war total verkehrt, war viel zu groß für mich. Maximilian war ein übermächtiger Gegner. Mein erster Einfall war, wegzulaufen, abzuhauen, aber wäre es wirklich klug, die Wohnung zu verlassen? Irgendwo dort draußen war Dr. Maximilian Schöning, und ich hatte mittlerweile das untrügliche Gefühl, dass er ganz genau wusste, wo ich mich in diesem Augenblick befand.
»Weiß Maximilian, wo du wohnst?«
»Klar, er hat mir ja diese Wohnung besorgt.«
Okay, ich musste die Polizei anrufen. Ich warf einen Blick auf Mortensens Auge und dann auf das Obduktionsmesser in meiner Hand. Nein, nicht die Polizei anrufen. Aber was dann? Das hier schaffte ich nicht. Das war zu groß. Die Panik vernebelte meine Gedanken und pumpte das Blut so fest durch meine Adern, dass es in meinen Ohren rauschte.
Larry Tang Mortensen hatte
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