Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Worte brauchte.
Ich ging in mein Büro und rief sie an, aber sie war noch nicht da. Ich warf meine Wildlederjacke auf den Stuhl und lief in die Bibliothek. Linda wischte gerade die Kaffeemaschinen ab, die bereits einen wohligen Geruch ausströmten. Ich erleichterte die rechte der beiden Maschinen, die in der Regel den stärkeren Kaffee braute, um eine Tasse, hatte es mit dem Trinken aber zu eilig und verbrannte mir die Zunge.
»Mist …«
»Ja, ja«, sagte Linda mit dem mageren, unruhigen Gesicht. »Hast ist Last.« Sie hatte immer für alles einen Spruch. Bei unserer letzten Begegnung putzte sie gerade mein Büro, während ich kopfüber in einer Schublade steckte und alles auf den Boden pfefferte, weil ich einen ganz bestimmten Stempel nicht finden konnte. Damals sagte sie: »Was nicht oben liegt, liegt unten.«
Aber sie hatte Kaffee gekocht, weshalb ich keine spitze Bemerkung machte, sondern meine Energie darauf verwendete, in die Tasse zu pusten, damit ich endlich meinen Kaffee trinken und ein bisschen Ruhe finden konnte.
»Wie viele Obduktionen haben wir heute?«, fragte sie.
Ich nippte vorsichtig am Kaffee. Er war noch immer kochend heiß. »Ich habe heute zwei. In beiden Fällen handelt es sich zweifellos um Mord, ich werde also wohl eine Weile brauchen.« Das Abkühlen dauerte mir zu lange, so dass ich mir eine saubere Tasse holte und den Kaffee umfüllte. »Die zweite habe ich deshalb auf vierzehn Uhr angesetzt.« Ich goss den Kaffee zurück in die erste Tasse. »Vermutlich werde ich nicht rechtzeitig fertig, damit Sie den Obduktionssaalnoch putzen können. Eigentlich können Sie jetzt schon die Putzfirma beauftragen.«
Meine Augen klebten an ihren hellblonden, dünnen Haaren. Ich verstand einfach nicht, warum sie sich nie nach den Fällen erkundigte. War sie so überhaupt nicht neugierig? Oder hatte sie Angst, die Antworten nicht verkraften zu können? Aber warum arbeitete sie dann hier? Mir kamen gleich mehrere, deutlich ungefährlichere Büros in den Sinn, die man stattdessen saubermachen konnte, wenn es wieder einmal »so war«, wie sie sich in ihrer speziellen Art auszudrücken pflegte. Sie wusste immer nur dann Bescheid, wenn wir Leichen mit ansteckenden Krankheiten auf die Tische bekamen, die sie hinterher putzen musste. Aber das
musste
sie dann auch wissen.
Linda hatte ihre ganze Aufmerksamkeit jetzt auf den Tisch gerichtet und schrubbte voller Eifer die Kante der Tischplatte. Ich sah zu der Obstschale hinüber, die aber nur zwei Äpfel und eine verschrumpelte Pflaume zu bieten hatte.
»Linda?« Ich sah sie bittend an. »Haben wir irgendetwas zu essen im Haus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, es hat niemand Frühstück mitgebracht.«
»Was soll ich machen? Die Kantine öffnet erst um zehn, ich stehe die beiden Obduktionen aber nicht durch, wenn ich vorher nichts gegessen habe. Mir ist jetzt schon schwindelig, und in meinem Mund habe ich einen üblen Metallgeschmack. Außerdem darf ich diesen Karoly nicht noch einmal anfahren, sonst … können Sie nicht nach drüben zum Krankenhaus gehen und mir ein paar Kalorien verschaffen? Ein paar Sandwiches, eine große Limonade – aber keine Light.« Sie nickte, und ich schob ihr zweihundert Kronen hin.
Die Hälfte des Kaffees war auf der Untertasse gelandet, als ich schließlich wieder in meinem Büro war. Ich hatte kaum die Tür hinter mir geschlossen, als meine Sekretärin Helle mit einem grünen Papierumschlag hereinschneite, den sie vor mir auf den Tisch knallte.Helle versäumte keine Gelegenheit, mich mit ihrer Abneigung zu quälen. Das tat sie seit dem ersten Tag, an dem Bonde Madsen mich altväterlich durch das kleine Institut geführt hatte. Sie hatte nämlich gleich die diskrete Hand auf meinem Rücken durchschaut und die Blicke bemerkt, die Dr. Madsen mir zuwarf und die, ihrer Meinung nach, einzig und allein ihr zustanden. Warum auch nicht? Sie war hübsch. Jünger als ich. Blonder als ich. Angepasster. Und sie roch auch besser, entsprach den richtigen Klischees und war noch dazu so grenzenlos unbegabt, dass es schon an Imbezillität grenzte. Ein besonderes Faible hatte sie dafür, Redewendungen und geflügelte Worte durcheinanderzubringen und falsch anzuwenden. So hatte ich sie unter anderem bereits sagen hören, dass in allem ein »Hörnchen Wahrheit« stecke, dass »der frühe Vogel auf dem Dach sitzt« oder die Unordnung in meinem Büro »das Fass mit dem Boden schlägt«. Letztere Bemerkung hatte ich einfach mit dem
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