Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Masken und Handschuhe durch die Tür. Ich selbst streifte noch eine durchsichtige Schürze über den grünen Stoffkittel, um zu verhindern, dass Blut und andere Körperflüssigkeiten durch das Gewebe bis zu meiner Haut vordrangen.
Mit Polizeibericht und Diktiergerät in der Hand sah ich mich um: Doppel-John, Poul und Henriette, unsere Praktikantin, waren anwesend.
»Karoly fehlt noch.« Kurz sah ich dem kleinen John in die Augen.
»Oh, Entschuldigung!«, sagte Poul und sah den großen John an, der die Kamera vorbereitete. »Ich habe vergessen mitzuteilen, dass Herr Karoly sich wegen einiger Vernehmungen verspäten wird, wir sollen ruhig schon anfangen«, sagte er und wandte sich wieder den Geräten zu.
Auf dem Tisch bei der Tür lag Emilie in ihrem weißen Leichensack. Der Reißverschluss war noch geschlossen, aber trotz der Sandwiches, des Kaffees und der Zigaretten verließ mich der Mut. Das lag nicht nur an der gleichermaßen speziellen wie ganz normalen Nervosität oder an dem Eindruck unendlicher Einsamkeit, der jedes Mal entstand, wenn ich hinter einem gerade verstorbenen Menschen stand und seinen Lebenslauf und seine Leidensgeschichte von der Oberfläche der Haut bis in den tiefsten Winkel seiner Organe verfolgte, sondern auch … mein Blick klebte an dem Leichensack.
8
Ich löste meine Augen von Emilie und sah zu Poul hinüber, der gerade die Nackenstütze an ihren Platz schob. Er warf mir einen kurzen Blick zu, nahm die elektrische Knochensäge und legte einen feuchten gelben Schwamm zum Abwischen der Organe bereit, dann sah er wieder zu mir. Ich wusste, dass er mich nicht leiden konnte, aber wer zum Henker konnte das schon? In seinem Blick lag allerdings nicht nur Ablehnung, er musterte mich irgendwie verwundert, als fragte er sich insgeheim etwas.
Neben dem Obduktionstisch plazierte er zwei Bretter, eines etwa so groß wie ein Schneidebrett für die Sektion des Hirns und ein kleineres in Größe eines Frühstücksbrettchens für das Herz. Hinter mir war Doppel-John, oder mindestens einer von beiden, bei der Arbeit. Erst hörte ich, wie der Reißverschluss des Leichensacks geöffnet wurde, dann das Rascheln von Tüten, die von Händen und Haaren genommen wurden. Ich richtete meinen Blick auf die Bahre und sah dann wieder zu Henriette, die sich einen Platz möglichst weit entfernt von der Leiche gesucht hatte. Die groß gewachsene, dünne, zerbrechlich wirkende Blondine stand mit verschränkten Armen da. Sie hatte schon mehreren Obduktionen beigewohnt, weshalb ich sie nicht explizit auf das vorbereitet hatte, was sie heute zu sehen bekäme, dazu hätte die Zeit aber auch gar nicht gereicht. Trotzdem kamen mir nun Zweifel; Henriette war nur wenige Jahre älter als Emilie, sie musste sich zwangsläufig mit ihr identifizieren, und das Gefühl, ebenso gut selbst dort liegen zu können, war bei einer Obduktion nicht gerade hilfreich. Andererseits war dieses Gefühl auch mir nicht fremd. Hatten die Toten irgendwelche Ähnlichkeiten mit mir oder ihre Leben mit dem meinen, musste ich mich zwingen, diese Gedanken beiseitezuschieben, um nur den toten Körper zu sehen und mir meine Objektivität zu bewahren. InEmilies Fall war das beinahe unmöglich. Ich atmete ein paar Mal tief durch und musste dabei einen recht kläglichen Eindruck gemacht haben, denn Poul blickte auf und fragte: »Sollen wir den Chef rufen?«
Ich starrte ihn an und war mir fast sicher, dass meine Augen gelb vor Zorn wurden: »Nein, fangen wir endlich an. Außer natürlich, Sie brauchen ein bisschen väterliche Fürsorge und Unterstützung?«
Wortlos wandte er sich Emilie zu, während ich zum Waschbecken ging. Es half mir sehr, jemanden zu haben, auf den ich wütend sein konnte – und das noch mit gutem Grund. Leider hielt diese Befriedigung nicht lange an, denn schon im nächsten Moment musste ich wieder heftig schlucken. Emilie wurde von der Bahre auf den Obduktionstisch gehoben, und ich spürte, wie sich die nächste Schraube in meinem Kopf zu lösen begann. Ich beobachtete konzentriert den kleinen John, der mit seiner Kamera auf die Stahlleiter kletterte, um ein Übersichtsfoto zu machen, bemerkte dabei aber auch den kalten Blick, den Poul mir zuwarf, bevor er mit seinen Wattetupfern loslegte. Der große John stand neben Henriette. Er zwinkerte mir zu, als wolle er mir damit sagen:
Ein Glück, dass ich da nicht rauf muss
. Der große John hatte Höhenangst und brauchte nur ein paar Sprossen auf einer Leiter nach oben zu steigen,
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