Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Satz kontern müssen, die Welt sei ja auch wirklich bodenlos. Es war mir wirklich ein Rätsel, warum sie – gegen alle Erwartungen – nicht Bonde Madsens Traumfrau war.
Wirklich verrückt nach mir, Sie sollten mal sehen, wie die mich ansieht
, hatte er gesagt. Und er sollte mal sehen, wie die mich ansieht, dachte sie, als Helles wütende Schritte sich über den Flur entfernten.
Pure love
in Minusgraden.
Ich schlug den Bericht auf. Er umfasste neun Seiten Informationen über die ermordete junge Frau: Die Polizei hatte noch keinen Kontakt zu Emilies Arzt aufnehmen können und hielt es für zu früh, ihre Familie zu vernehmen, die aber natürlich über den Fund informiert worden war. Den Zustand des Mädchens hatte Karoly bis jetzt allerdings verschwiegen. Abgesehen davon hatte die Polizei die Tote inzwischen als die achtzehnjährige Emilie Haundrup identifiziert, die seit Dienstagabend vermisst wurde. Mein Herz begann wieder zu hämmern, und ich starrte wie gelähmt auf das Papier. Als ich Schritte auf dem Flur vor meinem Büro hörte, knallte ich den Bericht laut zu, um mir selbst einen Schrecken einzujagen, und schlossdie Augen: Einen Moment lang saß ich einfach nur da und atmete langsam durch die Nase.
Jetzt reiß dich endlich zusammen
. Und wo blieb Linda nur mit dem Essen? Ich sah auf die Uhr: 08.56. Ich holte mir eine Kippe, zündete sie am geöffneten Fenster an, nahm sechs Züge auf einmal und schnippte die viel zu lange Glut mit den Fingern weg. Ich ließ das Fenster offen stehen und dachte daran, dass ich noch den Sektionsgehilfen über die Obduktion um zehn Uhr informieren musste, damit er alles vorbereiten konnte.
Pouls Büro lag in der Mitte des Flurs. Er saß an seinem Schreibtisch und war der Inbegriff des Montagmorgens. Er glotzte leer durch die geöffnete Tür auf den Flur und zuckte zusammen, als er mich plötzlich erblickte. Seine Hand schnellte zu seinem Mund, so dass ich mich wie ein Wecker aus der Hölle fühlte. Ich hatte gehofft, mit Mickey obduzieren zu können, aber Mickey hatte diese Woche natürlich keinen Dienst. Pouls Anblick gab mir immer das Gefühl, ein bisschen zu sterben.
Er war einundsechzig und damit Institutsältester, was ihn zu einem »Mythos in der dänischen Rechtsmedizin« hatte werden lassen. Er galt als enorme Kapazität, wenn auch nicht enorm genug, um endlich auch einmal auf der Mitarbeiterliste des Instituts aufzutauchen. Manchmal, wie auch jetzt, drang der unverkennbare Gestank männlicher Übermacht aus Zimmer dreiundvierzig der gynäkologischen Abteilung – die Übermacht der
groffen
Männer.
Groff
. Dieses Wort drängte sich mir schon nach sehr kurzer Zeit hier im Institut auf, obwohl ich ziemlich sicher wusste, dass es nicht einmal existierte. Auf jeden Fall wäre dieses Wort die perfekte Verbindung von groß, grob und schroff …
»Sie wissen schon, dass wir heute zwei Obduktionen vor uns haben?« Ich lehnte mich an den Türrahmen.
»Ja, ein Vögelchen hat mir da so etwas zugezwitschert.«
Er war verärgert. Wie immer hatte er das Gefühl, nicht richtig informiert worden zu sein. Natürlich war das ein Problem, abermusste er sich deshalb so spitz ausdrücken? Seine Ausdrucksweise verschlimmerte den Gestank nur noch. Alle drei, Professor Madsen, der zweite Stellvertreter, den ich Schweinebacke nannte, und Poul hatten die unangenehme Tendenz, sich gegenseitig und auch die Welt, die sie umgab, zu hassen. Dies äußerte sich in einem seltsam sarkastischen Stil, häufig kombiniert mit einer Art Kanzleisprache, die vermitteln sollte, dass sie in staubigen Bibliotheken zur Welt gekommen waren, die Münder vollgestopft mit goldumrandeten Erstausgaben und mit intravenösem Zugang zu allem, was in dieser Welt wissenswert war. Im Grunde ziemlich bescheuert. Zu allem Überfluss musste es dort zwischen den Zeilen trotz der bereits bestehenden Enge nun auch noch Platz für jemanden wie mich geben. Deshalb vermisste ich Mickey. Wenn er fluchte, dann offen und von ganzem, ehrlichem Herzen, so dass alle rot wurden.
»Es handelt sich um einen wirklich widerwärtigen Sexualmord«, sagte ich. »Wir brauchen Proben von allem.«
Wirklich widerwärtig,
auf eine solche Beschreibung griff ich nur zurück, um bei einem Mann wie Poul, der selbst allenfalls
reichlich unangenehm
sagen würde, eine Reaktion hervorzurufen. Dabei hätte ich am liebsten noch viel mehr gesagt, und das laut und schrill und … um ehrlich zu sein, verspürte ich sogar Lust, ihm eine zu kleben oder ihn in
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