Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Emilie drei wurde, klappte es schließlich auch mit McDonald’s. Ich trank eine Cola, während sie am Schaukelpferd herumfingerte, ohne darauf zu steigen. Und dann kam sie in den Kindergarten. Ich unterrichtete die Kindergärtner über all ihre Besonderheiten, ihre bevorzugte Liegeposition, ihre Schlafenszeiten, dass sie keine Tomaten mochte und unter keinen Umständen einen Schnuller bekommen durfte. Sie hörten mir bereitwillig zu, wie es solche Menschen zu tun pflegten. Während dieser ganzen Zeit wusste ich aber ganz genau, wie sich die Dinge verhielten; in mir, aber auch da draußen.
Ich hielt Kontakt zu Frauen mit gleichaltrigen Kindern, was mehr als leicht war, denn über ihre Kinder redeten ja alle gern.
Und das tat auch ich, mehr als gern.
Je mehr Jahre vergingen, desto ähnlicher wurde sie mir, vom dunklen Teint ihres Vaters sah ich in Emilies Gesicht jedoch keine Spur. Sie war hell wie ich, ein aschblonder Klon, und sie weinte, als ich sie am ersten Tag im Kindergarten, als alle unter der Ulme versammelt waren, allein ließ. Die ganze erste Woche ginge das so, aber dann sei es überstanden, lernte ich von meiner Nachbarin, deren Tochter gerade eingeschult worden war. Emilies Abschlussfeier nach der neunten Klasse und ihre Abiturfeier waren Spiegelbilder meiner eigenen Erinnerungen; reine, sympathische Schnapszahlen. Sie war ein unproblematischer Teenager, gar nicht wie diese anderen Teenies, vertraute mir alles an, war meine gute Freundin und verstand all meine Gedanken. Und auch ihr Freund war einfach. Und dann starb sie, nur dass das eben gar nicht einfach war. Sie wurde ermordet. Und ich wachte auf.
Fuck, ich war wirklich ganz schön lange fort gewesen.
Und als wäre das noch nicht genug, musste ich jetzt auch noch einen mausetoten Motorradbullen finden, der irgendwo zwischen Ørbæk und Ferritslev in einem Graben lag. Wo zum Henker war das nun wieder?
Liebes Tagebuch,
da saßen wir also wieder am gestärkten Tischtuch und lauschten dem nervösen Klirren des Bestecks. Silber natürlich, oder versilbert, was weiß ich, auf jeden Fall teures Zeug. Anders ging es ja nicht. Es klirrte sehr laut, scheppernd, lärmend, wenn es an den Teller schlug und ihre Nervosität in Geräusche übertrug. Sie redete und redete, denn außer ihr tat das ja niemand. Mein Vater saß am Ende des Tisches und aß schweigend. Manchmal hob er kurz den Kopf, blickte aber nur in abgrundtiefe Leere. Etwa jede dritte Woche fragte er, wie es in der Schule ging. Ich sah ihn dann nur an und sagte: »Es läuft gut, das weißt du doch ganz genau.« Er sah ja meine Noten und nickte immer zufrieden, zu bemängeln gab es wirklich nichts. Wenn er mich sah, sah er etwas Schönes, Sauberes, etwas, das mit Messer und Gabel aß und den Mund beim Kauen geschlossen hielt. Das allein, samt den guten Noten, genügte ihm schon.
In dem Blick, mit dem er meine Mutter beobachtete, lagen hingegen Abscheu und Gleichgültigkeit, zusammengesetzt etwa in dem Mischungsverhältnis von Hefe und Mehl in einem Brotteig. In seinen abwesenden Augen hatte ich nie einen anderen Blick gesehen. Meine Mutter und mein Vater schliefen jeder für sich und machten mir keine Schwierigkeiten. Ich hoffte für ihn, dass er woanders bekam, was er brauchte und nicht auch jemand war, der sich mit zu wenig begnügte.
Meine Mutter redete über das Essen und entschuldigte sich dafür, dass das Fleisch bestimmt zu viel oder zu wenig von irgendetwas hatte. Und die Sauce sei zu dünn, das täte ihr außerordentlich leid, sie könne selbst nicht verstehen, warum, sie habe sie doch angedickt. Waren die Kartoffeln in Ordnung, konnte man die essen? Ich kniff meine Augen zusammen, lächelte sie an und sagte lautlos HALT DEINEN MUND. Sie zog den Hals ein und klapperte mit Besteck und Tellern – welch ein Bild.
Hör mal Mutter, das Besteck stottert
, hätte ich gerne gesagt. Mehr als einmal. Ich liebte den Anblick, wenn sie sich kleinmachte, die Schulternbis über beide Ohren hochzog und ihre Nervosität aus jeder ihrer Poren sprach.
Sie würgte ihr Essen hinunter. Nahm sich nicht die Zeit zu kauen, da ja jederzeit etwas passieren konnte, ein plötzlicher Windhauch oder eine Schiffskatastrophe.
Ich hingegen hatte alle Zeit der Welt und nahm sie mir, ich genoss das Essen – es war wunderbar, wie immer, schließlich war meine Mutter eine traumhafte Köchin. Sie machte sich immer große Mühe und verdiente es eigentlich, dass jemand dies zu schätzen wusste. Aber weder
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