Totenzimmer: Thriller (German Edition)
bis ihm der Schweiß ausbrach und ihm schwindelig wurde.
Poul führte einen Wattetupfer in Emilies Mund ein und rieb damit ihr Zahnfleisch, ihre Zunge und ihren Gaumen ab, um so mögliche Spermareste zu sichern. Ich nahm den Polizeibericht, schlug ihn auf und versuchte, ihn zu Ende zu lesen. Die Kamera klickte und summte leise. Dieses Geräusch überraschte mich jedes Mal. Ich wartete, der Macht der Gewohnheit gehorchend, noch immer auf den Laut der uralten Nikon F3, die von Hand aufgezogen werden musste, ein Geräusch, das in Kopenhagen alle Obduktionen geprägt hatte.
Emilie hatte gerade ihr Abitur auf der Kathedralschule abgelegtund ihre Sommerferien genossen, bevor sie im Herbst ein Jurastudium an der Süddänischen Universität beginnen wollte. Während ich diese Information las, deponierte Poul seine Mundhöhlenfunde in entsprechend nummerierten Pappschachteln.
Emilie hatte in den letzten zwei Wochen beinahe ausschließlich am Strand von Kerteminde gelegen, offensichtlich auch, weil sie sich erst vierzehn Tage zuvor beim Sturz von einer Leiter, als sie die Dachrinne am Haus ihrer Eltern reinigen wollte, das Schlüsselbein gebrochen hatte. Sie hatte also noch zu Hause gewohnt.
Wieder sah ich zu Poul hinüber, der inzwischen mit seinem Wattetupfer in Emilies Scheide nach Spermaspuren suchte. Er atmete schwer und räusperte sich. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Henriette ihre Stellung wechselte. Sie starrte fortwährend auf einen Punkt hinter mir. Ich las weiter.
Am Abend ihres Verschwindens hatte Emilie mit einer Freundin ein Sunset-Sandwich im Bahnhofszentrum am Østre Stationsvej gegessen. Danach, gegen 20.45 Uhr, waren sie ins City-Kino gegangen und hatten sich die Komödie
Sorte Kugler
angeschaut. Gegen 23.00 Uhr tranken sie noch einen Latte im Café From, das schräg gegenüber des Kinos lag, und anschließend war Emilie mit dem Bus nach Hause gefahren. Mehr wusste man im Grunde nicht. Ich klappte den Bericht zu und beobachtete Poul. Er schloss seine Suche nach biologischen Spuren gerade im Enddarm ab.
Ich trat dicht an Emilie heran, betrachtete ihr entstelltes Gesicht und ließ meine Augen dann nach unten wandern. Der Hals mit den gepunkteten Druckstellen ließ mich erneut an Rote-Beete-Saft denken. Doch nicht einmal in dem gnadenlosen Licht des Obduktionssaals waren Anzeichen einer Unterblutung der Haut an den Seiten oder der Front ihres Halses zu erkennen. Dazu passte, dass ich keine punktförmigen Einblutungen in ihren Augen gefunden hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie verblutet war, aber trotzdem war irgendetwas mit ihrem Hals geschehen.
»Geben Sie mir eine Lupe«, sagte ich und streckte meine Hand aus, ohne meinen Blick von Emilies Hals zu nehmen. Während ich wartete, betrachtete ich ihre Brust und ihren Arm, auf dessen Außenseite ich dicht unter der Schulter eine ganz schwache Druckstelle entdeckte, ebenso am anderen Arm. Beide Stellen waren leicht gepunktet, die Rotfärbung war allerdings deutlich schwächer und flächiger als am Hals. Sie führte nicht um den ganzen Arm herum, dafür waren hier aber recht deutliche Unterblutungen zu erkennen, was bedeuten musste, dass ihr Herz noch Blut ins Gewebe gepumpt hatte, als ihr diese Läsion zugefügt worden war. Irgendjemand hielt mir ein Vergrößerungsglas direkt unter die Nase, mit dem ich noch einmal den Hals untersuchte. Die Haut wirkte unter der Rötung irgendwie pergamentartig. Wenn Emilie nach Eintritt des Todes mit viel Kraft gewürgt worden war und der Täter dabei Handschuhe getragen hatte, die stark an der Haut rieben, hätten dabei gelbliche, pergamentartige Abschürfungen entstehen können. Etwas Gelbliches konnte ich unter dem Rot nicht erkennen, pergamentartige Stellen aber waren da, wenn auch nicht sonderlich stark ausgeprägt.
»Schauen Sie mal«, sagte ich zu Poul, der bereits mit sorgenvoll gekräuselter Stirn neben mir stand. »Was zum Henker ist das?«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Könnten Sie diesen Bereich mal abtupfen? Ich weiß noch nicht, wonach wir das untersuchen sollen, schauen wir mal, was Nkem herausfinden kann. Eine DNA-Probe haben wir schon genommen, also genügt ein Set mit vier Wattetupfern, nur für den Fall.«
Poul nahm ein paar Tupfer, befeuchtete sie mit sterilem Wasser und tupfte die roten Bereiche ab. »Was sollen wir auf die Pappschachtel schreiben?«, fragte er.
»Sie hat das auch im Gesicht.« Ich sah auf. Der kleine John stand auf der anderen Seite des
Weitere Kostenlose Bücher