Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Büro.
»War ganz schön schlau von Ihnen, diesen Journalisten anzurufen, Helle.« Nkem sprach Dänisch mit den Sekretärinnen, was ziemlich lustig klang, weil sie ihre ganz eigene Melodie hatte und bestimmte Vokale seltsam in die Länge zog, so dass aus
Ihnen Iiiiahnen
wurde, wohingegen sie
Journalist
gleich Englisch aussprach. Aus Helle wurde ganz einfach
Hell
. Ich wusste nicht, ob sie das mit Absicht machte.
»Wie meinen Sie das?«, kam es von Helle. Eine sehr deutliche Aufnahme des heftigen Stakkatos ihrer schrillen Stimme, die zu allem Überfluss jetzt auch noch beleidigt klang.
»Ich meine, dass hier doch jeder weiß, dass Sie beim
Ekstra Bladet
angerufen und sich als Dr. Krause ausgegeben haben.«
Angerufen
und
Ekstra
klangen auch sehr lustig. Sie musste die Zunge irgendwie wie eine Wurst zusammengerollt haben.
»Jetzt hören Sie aber auf, was reden Sie denn da,
Nikim
, werden Sie diese Krause denn nie leid? Seid ihr beste Freundinnen, wie damals auf dem Schulhof? Oder – ist da womöglich noch mehr?« Höhnisches Lachen. »Die ist wirklich was für Fortgeschrittene.« Esfolgte eine Pause, jemand lachte, alle schienen sich aber einig zu sein, dass ich ein Fall für Fortgeschrittene war. »Hat Dr. Krause Ihnen vielleicht etwas über Lepra erzählt?«, fuhr Nkem fort, wobei sie sich jetzt offensichtlich den beiden anderen zugewandt hatte. »Haben Sie das wirklich nicht von Helle?« Es entstand wieder eine Pause, in der niemand etwas sagte, die Köpfe der Anwesenden aber sicher auf Hochtouren arbeiteten. »Doch«, kam es schließlich von Ruth, »aber die wusste es ja nur, weil Dr. Krause es ihr gerade zuvor erzählt hatte.« Sie klang unsicher und fügte hinzu: »Draußen auf dem Flur.« Es war deutlich, dass Nkem viel dichter bei Helle stand als bei Ruth, denn deren recht normale Stimme klang undeutlich und gedämpft.
»Helle, was hat Dr. Krause Ihnen denn genau gesagt?«
»Sie hat gesagt, lassen Sie mich nachdenken, ob ich mich daran erinnere – also, sie hat gesagt, das alles sei wirklich ein schrecklicher Mist. Der Täter leide an Lepra, man müsse deswegen eine Warnung herausgeben.«
»Ho-ho-ho«, kam es rollend tief aus Nkems Bauch. »Sie wissen doch ganz genau, dass Dr. Krause so etwas niemals tun würde, oder nicht?«
»Das hat sie aber gesagt. Dr. Madsen hätte sie wohl kaum suspendiert, wenn er nicht glauben würde, dass sie zu so etwas in der Lage ist.«
»Nein, das hätte er dann wohl nicht«, sagte Nkem, und ich hörte deutlich, dass sie breit lächelte und gleich wieder lachen würde. »Nun, hat irgendjemand ein bisschen was zu essen mitgebracht?«
»Ja, Wienerbrød, aber das mögen Sie ja nicht.«
»Nein, wirklich nicht. Ich mag keine Sachen, die dreißig Tage lang durch meinen Darm wandern.« Danach servierte das Diktiergerät nur noch leises Rauschen.
»Fantastisch«, sagte ich und lächelte Nkem zu, die vor Stolz fast platzte. Sie stand auf und schaltete das Diktiergerät aus. Dann ging sie in die Küche und kam mit einem Teller Suppe und einem Glasauf einem Tablett wieder zurück. Sie stellte alles auf die Fensterbank, weil sie glaubte, mir aufhelfen zu müssen, damit ich mich auf die Bettkante setzen konnte, dabei schaffte ich das, wie ich ihr gleich zeigte, inzwischen selbst. Sie gab mir das Tablett, und während ich langsam die kochend heiße Hühnerbrühe löffelte, setzte sie sich neben dem Bett auf den Boden und holte ihren Laptop hervor. Sie verband das Diktiergerät über ein USB-Kabel mit dem Computer und speicherte die Aufnahme als Tondatei, die sie Claus Jessen beim
Ekstra Bladet
schickte. Dann rief sie ihn an und bat ihn, uns möglichst schnell zu sagen, ob das die Stimme sei, die ihn am Freitag gegen Mittag angerufen hatte. Jessen bat sie, aufzulegen, während er sich die Aufnahme anhörte, was sie widerwillig tat. Währenddessen aß ich meine Suppe weiter, bekam aber von ihrem langen Gespräch kein einziges Wort mit. Meine Gedanken waren damit beschäftigt, wieder und wieder die letzte Nacht durchzuspielen. In meinem Kopf wiederholte sich die immer gleiche Sequenz: Er leuchtete mir ins Gesicht und rief entsetzt
SIE!
. Ich war mir sicher, dass er mich erkannt hatte, vermutlich von dem Foto in der Zeitung. Und dass er wütend war wegen meiner Aussage über eine mögliche Lepraerkrankung. Vielleicht hatte er diese Meldung auch mit der Fahndung der Polizei nach einem Mann mit verfärbter Haut in Verbindung gebracht. Es war möglich, dass er mir auch dafür die Schuld
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