Totenzimmer: Thriller (German Edition)
machst du jetzt?«
»Überprüfen, ob die beiden anderen Stoffe auf irgendwelchen anderen Seiten zu kriegen sind.« Ich atmete tief durch. Nach einer Weile fiel mein Blick auf den Fahrradhelm, der auf dem Stuhl lag, und mir kam ein Gedanke. Schuppen. Ich musste an den Mord beiSchloss Hvedholm denken. Camilla Porsman war von Schuppen übersät gewesen, der Kopf, der Körper, der Genitalbereich. Die Tapestreifen mit den Schuppen des Täters, von denen einige seine DNA enthielten, waren irgendwo in der Kriminaltechnik. Warum sollte man nicht noch einmal einen Blick darauf werfen? Schuppen waren Schuppen. Über ihre Herkunft verrieten sie nichts. Ich weihte Nkem in meine Gedanken ein und sagte: »Gab es bei diesen Krankheiten, gegen die Clofazimin verwendet wird, nicht auch welche, die zur Bildung von Hautschuppen führen?«, begann ich, doch dann kam es mir selbst wieder in den Sinn, und ich sagte laut: »Schuppenflechte.«
Sie sah vom Bildschirm auf und sagte: »
Nope
– Dapson und Rifampicin sind über das Netz nicht zu kriegen –, was hast du gesagt?«
Ich wiederholte es. Nkem nickte kurz, widmete sich wieder ihrem Computer und suchte den Hauptartikel über den Stoff heraus. Sie begann laut vorzulesen, dass Clofazimin sporadisch auch gute Resultate bei anderen Autoimmunkrankheiten wie Schuppenflechte erzielte. »Aber würde man schuppenden Ausschlag gegen Verfärbungen im Gesicht eintauschen – und gegen all die anderen Nebenwirkungen?«
»Wenn man verzweifelt genug ist, probiert man das vielleicht«, sagte ich und dachte daran, wie sehr mich meine wenigen fahrradhelmbedingten Schuppen störten.
»Hm«, sagte Nkem. »Dann hatte er damals, als er das Mädchen bei Schloss Hvedholm getötet hat, noch nicht mit dieser Clofaziminbehandlung angefangen. Diese Therapie muss er dann irgendwann zwischen den beiden Morden begonnen haben.«
»Rein theoretisch kann er die Behandlung schon lange vor dem Mord an Emilie beendet haben – denk dran, wie lange es dauert, bis dieser Stoff den Körper wieder vollständig verlassen hat. Der Täter kann sehr schnell bemerkt haben, dass Clofazimin schlimmer ist als Schuppenflechte. Aber selbst, wenn er gleich wieder aufgehört hat,können noch über ein Jahr lang Verfärbungen von Haut und Körperflüssigkeiten auftreten.«
»Wie auch immer – ich meine, auch wenn das alles nur Spekulationen sind – die Polizei muss die Hintermänner dieser Internetfirma finden. Das ist die einzige Webseite, die ich gefunden habe, über die man dieses Zeug kaufen kann – ich überprüfe das aber noch einmal, damit ich wirklich sicher bin.« Sie nahm den Computer und setzte sich wieder an den Tisch. »Es soll mir niemand sagen können, ich würde meine Arbeit nicht richtig machen.«
Gerade, als ich mir die Decke wieder über den Kopf gezogen hatte, klingelte mein Handy. Ich sah müde auf das Display. Es war Bonde Madsen.
21
»Hier ist Hans.«
Naja. Er hieß ja wirklich so, nur nicht dann, wenn er sich, die Brille an einer Kordel um den Hals baumelnd, über den Sektionstisch beugte, beide Hände auf den frisch geputzten Stahl stemmte, die Stirn in Falten zog und die ganze Welt mit seinen tiefliegenden Augen musterte. Dann war er Lars von Trier, Pablo Picasso, oder ER selbst, der die Toten zum Sprechen brachte und alle Frauen verzauberte, so dass sie sich brav hinten anstellten.
Aber abgesehen von seinem Titel, dem Institut und dem Charisma gehörte diese Stimme Hans. Einem Hans, der bei sich zu Hause im weichen Lehnsessel gehockt und das Handy geknetet hatte, bis er sich irgendwann einen Ruck gegeben hatte. Barfuß, zahnlos und sehr verlegen. Frau und Kinder sprangen sicher übel mit ihm um, zwangen ihn, bei Discountern einzukaufen, und warteten auf seine Pensionierung, um ihn so endgültig zu kastrieren.
»Ich denke, ich sollte Sie um Verzeihung bitten«, sagte er.
Er sprach so leise, dass ich ihn auffordern musste, etwas lauter zu sprechen.
Dies alles war für ihn hörbar unangenehm und schmerzhaft. Aber so musste das sein, ja es durfte ruhig noch etwas unangenehmer, noch etwas schmerzhafter werden.
»Ich denke, ich sollte Sie um Verzeihung bitten, mich bei Ihnen entschuldigen«, wiederholte er nach einem Räuspern.
Ich sagte kein Wort. Nicht, weil ich seine Qualen bewusst verlängern wollte – oder wollte ich das? Ich hatte ganz einfach keine Ahnung, was man in so einer Situation sagte.
Trotzdem war es schnell überstanden: Helle war umgehend ausradiert worden, wie ein
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