Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Klecks, der sich auf ein sauberes Blatt Papier geschlichen hatte. Sie würde nie wieder auch nur in die Nähe vonsensiblen Informationen rechtsmedizinischen Charakters kommen. Und er freute sich wirklich darauf, mich demnächst dann wieder im Institut zu sehen.
Wirklich?
Das Gespräch dauerte höchstens drei Minuten, vielleicht weniger, trotzdem empfand ich seinen Anruf als echte Entschuldigung. Grundsätzlich war ich ihnen jedoch nach wie vor lästig, hätte meinen Platz für jemanden räumen sollen, der gehorchte. Sie hatten in diesem Vorfall eine Chance gesehen, die sich dann aber als ein faules Ei herausgestellt hatte, das versehentlich in den Zauberhut gerollt war. Vielleicht hatten sie beim nächsten Mal ja mehr Glück.
Ich teilte ihm mit, dass ich einen Unfall gehabt hatte und in den nächsten Tagen nicht ins Institut kommen könnte. Als ich aufgelegt hatte, entschied ich mich dann aber anders und fuhr am nächsten Morgen gemeinsam mit Nkem dorthin. Aus meinen Kopfhörern dröhnte
Love in a trashcan
, um mich an mein Verhältnis zur Welt ganz allgemein – und im Speziellen – zu erinnern.
Es war fürchterlich, mit den Krücken die Treppe nach unten zu laufen, denn anscheinend mussten alle bei mir im Haus nicht nur zur gleichen Zeit zur Arbeit, sondern auch zur gleichen Zeit über die Treppe nach unten, so dass ich mich wieder und wieder ans Geländer klammern musste, damit die fleißigen Arbeitsbienen auch an mir vorbeikamen. Mein Auge war inzwischen fast gelb geworden, meinen Fuß konnte ich dafür schon wieder einigermaßen belasten. Trotzdem freute ich mich beinahe darauf, im Institut mit den Krücken über den Flur zu laufen.
Vor dem Institutseingang trennten wir uns. Nkem ging nach oben in ihr Büro und zu ihren Laboratorien, während ich geradeaus den Flur im Erdgeschoss betrat und prompt auf Ruth stieß, die so etwas wie »Gott, was ist denn mit dir passiert?« rief.
Ich lächelte sie so breit an, dass mein Auge schmerzte. »Willst du das wirklich wissen?«
Sie zuckte verwirrt mit dem Kopf und setzte ihre Reise fort, während ich mich auf den Weg zu Bonde Madsens Büro machte. Die Tür stand offen. Er zog sich gerade seine leichte Sommerjacke aus und drapierte sie auf der Rückenlehne seines Stuhls.
Als ich die Tür hinter mir zuwarf, zuckte er zusammen.
»Wir müssen reden.« Ich hinkte zum Schreibtisch und nickte in Richtung des Stuhls vor seinem Computer. »Wären Sie so nett, den zu mir rüberzuschieben?« Er tat, um was ich ihn gebeten hatte, und sah mich mit aufrichtigem Entsetzen an.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Ich bin vergewaltigt worden.«
Er half mir, mich zu setzen, er ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen, lehnte sich zurück und riss den Mund auf, um etwas zu sagen, es kam aber kein Ton heraus.
Ich musste schief grinsen und sagte: »Man wird überall vergewaltigt.
Here, there, everywhere
.«
»Wie meinen Sie das?« Er sah mich aus schmalen Augen an und beugte sich zu mir vor. »Haben Sie das gemeldet?«
»Dann hätten Sie wohl davon gehört. Nein, in der Regel bin ich sehr diskret.«
Wir saßen eine Weile still da und sahen uns an. Schließlich brach ich das Schweigen: »Sehen Sie mal hier«, sagte ich, entblößte meine Kehle und legte meine linke Hand als unteren Rahmen auf mein Schlüsselbein. »Schauen Sie sich meinen Hals an.«
Er beugte sich zu mir vor. »Erkennen Sie das? Oder haben Sie Emilie Haundrups Hals nicht gesehen?«
»Natürlich habe ich ihren Hals gesehen«, sagte er verärgert. »Was wollen Sie denn damit andeuten? Sind Sie etwa von Emilies Mörder vergewaltigt worden?«
»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch noch andere Sadisten in Odense Clofazimin nehmen?«
»Karoly weiß auch davon nichts?«
»Und Karoly soll auch davon nichts erfahren. Und Fyn Nielsen auch nicht. Niemand. Ich sage Ihnen das im Vertrauen.« Und dann erzählte ich ihm alles. Alles, von dem schönen jungen Mann im Ørstedspark vor neunzehn Jahren, von den nachfolgenden nächtlichen Parkspaziergängen und von meinem letzten Besuch im Munke Mose. Als ich fertig war, sah er mich mit großer Verwunderung an und war erst einmal sprachlos.
»Warum tun Sie so etwas?«, fragte er schließlich.
»Ich weiß es nicht. Wissen Sie, warum Sie Ihre Finger nicht von einer Kollegin lassen können, die sich auf ihrem Sofa ausruht? Zu allem Überfluss auch noch eine Kollegin, deren unmittelbarer Vorgesetzter Sie sind.«
Er blickte zu Boden. »Sie werden das der Polizei sagen
Weitere Kostenlose Bücher