Toter geht's nicht
sicher, dass ich ohne die Beantwortung dieser offenen Fragen gut weiterleben kann.
Und doch schlafe ich in dieser Nacht äußerst schlecht.
«Ich bin der Meinung, wir sollten den Fall abschließen», sage ich am nächsten Morgen im Präsidium in die Runde meiner Kollegen.
Miriam schaut skeptisch. Onkel Ludwig Körber blättert in den Berichten zum Drossmann-Suizid. Dann sagt er:
«Jedenfalls können wir das mal so an die Presse weitergeben. Damit mal Ruhe ist. Auch von oben.»
Ich weiß, dass er Druck vom Polizeipräsidenten bekommen hat.
«Ich finde es trotzdem komisch, dass Frank Drossmann seinen Abschiedsbrief, wenn man das so nennen will, mit dem Computer ausgedruckt hat», sagt Miriam. «Er hat nur einen Satz geschrieben. Da wäre es doch normaler, den mit der Hand zu schreiben.»
«Ja, schon», entgegne ich. «Aber was war schon an Frank Drossmann normal?»
«Mein Vater hat es verdient und ich auch» , wiederholt Ludwig Körber nachdenklich den Wortlaut.
«Ich finde, wir sollten konsequent alle Nachbarn fragen, ob sie nicht vielleicht doch irgendetwas gehört haben. Vielleicht hat er Besuch bekommen. Vielleicht hat jemand bei seinem Mixgetränk nachgeholfen», legt Miriam nach.
Ihr Eifer geht mir auf die Nerven. Teichner schweigt laut.
«Ja, machen Sie mal ruhig», nickt Körber Miriam zu. «Aber nach außen ist die Geschichte erst mal erledigt. Sollten wir auf Hinweise stoßen, die auf einen Mord hindeuten können, dann gehen wir denen selbstverständlich nach.»
Wir alle nicken.
«Und noch etwas: Ich habe heute mit Markus Meirich telefoniert.»
Ich zucke zusammen.
«Er steigt ab Mittwoch wieder ein. Auf eigenen Wunsch.»
«Ist seine Tochter wieder gesund?», fragt Miriam.
«Ich weiß es nicht. Dass Leukämie so schnell heilbar ist, glaube ich eigentlich nicht. Jedenfalls ist die Situation so, dass er wieder arbeiten kann und will. Frau Meisler, Sie bleiben natürlich so lange im Team, bis wir auch intern den Drossmann-Fall endgültig zu den Akten legen. Über alles Weitere sprechen wir dann. Einen schönen Tag noch.»
Onkel Ludwig Körber leert im Aufstehen seine Kaffeetasse und verlässt den Konferenztisch. Berlusconi liegt direkt vor der Tür und bewegt sich keinen Zentimeter von der Stelle, als Körber vor ihm steht.
«Muss das immer sein, mit diesem Hund, Henning», nörgelt er in meine Richtung. Just in dem Moment, in dem ich den Hund zu mir rufe, ist Onkel Ludwig leider schon im Begriff, über Berlusconi zu steigen. Berlusconi springt ruckartig auf und verfängt sich unglücklich in den Beinen des dicklichen Onkels. Kriminaloberrat Ludwig Körber rudert, halb auf Berlusconi sitzend, wie ein Cowboy-Bullrider hilflos mit den Armen herum und wird gleich darauf ebenfalls im Bullrider-Stil unsanft abgeworfen.
«Oh, Scheiße», sage ich und eile ihm zu Hilfe. Der Onkel verweigert meine helfende Hand und steht umständlich auf.
«Ja, genau, Scheiße!», ächzt er in meine Richtung und verlässt beleidigt den Raum.
Kaum ist er außer Hörweite, bricht es aus Miriam heraus. Auch ich lache die Anspannung der letzten Wochen weg. Teichner, zu dessen Lieblingssendungen «Ups, die Pannenshow» zählt, hat ebenfalls viel Freude an der Situation.
Später im Büro fällt mir ein, dass ich Melina versprochen habe, eines der Drossmann-Keyboards, die im Polizeilager herumstehen, leihweise mitzunehmen. Schwer zu sagen, wem diese Geräte nun eigentlich zustehen. Der Erbnehmer ist ja nun auch verschieden. Egal, ich nehme nachher eins mit, damit Melina ein wenig herumexperimentieren kann. Hinterher bringe ich es selbstverständlich wieder zurück. Wahrscheinlich, zumindest.
Dann muss ich an Markus denken. Wie oft wollte ich in den vergangenen Tagen Kontakt zu ihm aufnehmen, und ich habe es nicht getan. Ich greife spontan zum Handy, tippe in Windeseile: «Hallo, Markus, Lust auf einen Kaffee? Gruß Henning» und drücke sofort auf Senden, ehe ich es mir noch anders überlege.
Es dauert keine Minute, da erreicht mich schon eine Antwort: «Sehr gerne, wann?»
Wir verabreden uns für sofort im Alsfelder Café Extra.
Meine Nervosität, begründet durch mein schlechtes Gewissen und die Angst, nicht die richtigen Worte finden zu können, überlagert die Vorfreude, als ich mit Berlusconi an der Leine das Café in der Alsfelder Innenstadt betrete. An einem Fensterplatz sehe ich Markus sitzen.
«Hallo», hechle ich ihm entgehen. Markus erhebt sich; ich hatte vergessen, wie groß er ist, der
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