Toter Mann
Lejon wusste, was er wusste. Vielleicht war es Lejon scheißegal. Vielleicht genoss er es zu wissen, dass Winter Bescheid wusste. Über das Buch.
»Was machen Sie hier?«, fragte Lejon.
»Es ist Freitagabend«, sagte Winter. »Ich hab gehört, dass es hier freitags abends nett sein soll. Davon wollte ich mich selbst überzeugen.«
»Eine gute Entscheidung«, sagte Lejon. »Es ist nett hier.« »Ich sehe, Sie sind allein«, sagte Winter.
»Nicht mehr.«
»Haben Sie keine Freunde, Lejon?« »Jetzt habe ich einen.«
»Gefällt es Ihnen in dieser Gegend?« Winter hob sein Glas.
»Ich bin hier zu Hause«, sagte Lejon.
»Ist es tagsüber nicht furchtbar laut? Das ganze Terrain der Eriksbergswerft wird ja bebaut. Da kann man sich wohl kaum entspannen.«
»Stimmt.«
»Bekommen Sie keine Kopfschmerzen von dem Getöse?« »Warum fragen Sie das?«
»Das ist doch wohl eine natürliche Frage.«
Lejon betrachtete Winter mit seinem kalten Blick.
»Es ist mein Stadtteil«, sagte Lejon. »Ich habe nichts dagegen, dass er wiederbelebt wird. Er ist lange tot gewesen. Da dürfen sie ruhig ein bisschen Krach machen.«
»Ich verstehe, Sie haben ein besonderes Verhältnis zu all dem. Sogar zum neuen Teil dieser Stadt.«
»Neu? Mein Vater hat hier gearbeitet«, sagte Lejon. »Hier ist er gestorben.« »Ein Unfall?«
»Nein. Es war Mord.«
Winter schwieg. Der Lärmpegel in der Bar war noch mehr gestiegen. Ein Mann versuchte, einen der beiden unbesetzten Stühle an Lejons Tisch zu nehmen, Lejon ließ seine Hand wie einen Karateschlag niedersausen. Der Mann machte einen Rückzieher.
»Ohne ihn hätte es diese Stadt überhaupt nicht gegeben«, sagte
Lejon. »Und damit meine ich das ganze Götefuckingborg.« »So ist es wohl«, sagte Winter.
»Was hat Ihr Vater getan?«
»Golf gespielt«, antwortete Winter. »Ich verstehe.«
»Wieso verstehen Sie das?«
»Sie riechen schon von weitem nach Golfclub, Winter.« »Ich hab noch nie Golf gespielt.«
»Das ist egal.« Lejon lächelte. »Es ist eine Frage der Gesellschaftsschicht.«
»Und Sie haben Ihre Schicht hinter sich gelassen«, sagte Winter. »Gewissermaßen, und doch wieder nicht.«
»Ach?«
»Ich vergesse nicht, was geschehen ist.« »Was ist Ihr Beruf, Lejon?«
Der Gangster wollte gerade einen Schluck aus seinem Glas nehmen, setzte es aber wieder ab. »Das wissen Sie, Winter.«
»Was würde Ihr Vater sagen, wenn er es wüsste?« »Rache. Er hätte Rache gesagt.«
»Rache an wem?«
»An den Scheißkerlen, die ihn umgebracht haben.« »Verkaufen Sie Ihr Zeug an sie?«
»Verkaufen? Ich verkaufe nichts. Das ist nicht mein Job.« »An Chefs. Direktoren. Kapitalisten. Gewerkschaftsbonzen. An solche Leute?«
»Ich bin kein Verkäufer.«
»Oder verkaufen Sie Ihren Kram an Kinder, Lejon? An Jugendliche. An Arme. An die Ärmsten, ausgebeutete Einwanderer, vergewaltigte Frauen, vergewaltigte Kinder.«
»Die sind weit von Ihrer Klasse entfernt, Winter.« »Aber nicht weit entfernt von meiner Wirklichkeit.« »Was wissen Sie von der Wirklichkeit?«
»Ich bin näher an ihr dran als Sie, Lejon.«
»Ich verkaufe nichts«, wiederholte Lejon. »Und ich möchte diesen Drink noch eine Weile genießen.«
»Ich suche eine Pistole«, sagte Winter.
»Haben Sie keine eigene? Ich meine etwas an Ihrer Hüfte gesehen zu haben, als Sie sich setzten.«
»Eine Tokarev«, sagte Winter. »Damit wurde kürzlich ein Mann erschossen.«
»Der in dem Parkhaus?« Lejon schüttelte den Kopf. »Schrecklich. Schreckliche Geschichte.«
»Ja. Sie verstehen also, dass wir die Mordwaffe finden müssen.«
»Das verstehe ich wirklich. Aber warum suchen Sie hier?« »Wir suchen in der ganzen Stadt.«
»Wie zum Beispiel in der Lobbybar dieses Hotels an einem Freitagabend.« »Zum Beispiel.«
»Warum erzählen Sie mir das, Winter? Von der Pistole?« »Ich hoffe, Sie können mir helfen.«
»Selbstverständlich. Wenn ich was erfahre, rufe ich Sie sofort an.« Winter holte seine Brieftasche hervor und nahm eine Visitenkarte heraus.
»Haben Sie was zu schreiben?«
»Natürlich.« Lejon zog einen silbern schimmernden Ballograph aus der Innentasche seines Jacketts und reichte ihn Winter. »Ich schreibe noch eine andere Handynummer auf die Rückseite.«
»Ihr Vertrauen ehrt mich«, sagte Lejon.
»Sie ist natürlich geheim, aber ich verlasse mich auf Sie.« »Ich werde sie keiner Menschenseele verraten.«
Draußen auf dem Platz sah Winter eine Fähre am Dockpiren anlegen. Er begann zu laufen. Besser
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