Toter Mann
Minorität.«
Berit Richardsson rief an, als Winter über die Götaälvsbrücke fuhr.
»Ich glaube, er lebt nicht mehr«, sagte sie. »Jan.« »Warum glauben Sie das?«
Winter schlängelte sich an den Straßenbauarbeiten um das Einkaufszentrum Nordstan vorbei. Mitten im Kreisverkehr musste er anhalten. Ein Taxi blockierte den Verkehrsfluss. Winter schaltete auf die Freisprecheinrichtung um.
»Er hat sich nicht gemeldet«, sagte sie. »Bei mir. Bei uns. Das macht er sonst immer.«
»Was meinen Sie mit >das macht er sonst immer Verschwindet er denn häufiger?«
Sie antwortete nicht. Das Taxi setzte sich in Bewegung. Ein Autofahrer vor Winter nahm die Hand von der Hupe. Der Taxichauffeur zeigte ihm den Stinkefinger und schoss davon.
»Wo sind Sie jetzt?«
»Ich bin zu Hause.«
»Ich komme zu Ihnen.«
Berit Richardsson erwartete ihn an der Pforte. Sie trug eine Sonnenbrille, obwohl sich in Örgryte scharfe Schatten abzeichneten. Sonnenbrillenträger wirken immer arrogant. Es ist eine Art Schutz. Aber Berit Richardsson war nicht arrogant. Sie nahm die Brille ab. Ihre schönen Augen waren dunkel, als hätten die dunklen Gläser auf sie abgefärbt.
Was hat sie zusammengeführt?, dachte Winter. Wer ist sie? »Wir können uns auf die Veranda setzen«, sagte sie und ging voran.
Winter folgte ihr zur Rückseite des Hauses. Der Garten war immer noch genauso abgeriegelt wie beim letzten Mal. Die robuste Hecke war dichter als Stein. Diese Menschen wollen leben, ohne gesehen zu werden, dachte er. Aber daraus ist nichts geworden. Stattdessen kam ich.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie. »Nein danke.«
Sie setzte sich auf einen Gartenstuhl.
»Wollen Sie sich nicht setzen?« Sie zeigte auf den Stuhl gegenüber.
Winter nahm Platz.
Sie sah aus, als wollte sie etwas sagen.
»Manchmal ist Jan ... verschwunden«, sagte sie, »einfach weggeblieben.« Winter nickte.
»Nur einige wenige Male.«
Ein mildernder Umstand. Winter hatte so etwas schon früher erlebt. Was in der Vergangenheit passiert war, zählte nicht. Es hatte nichts mit der Zukunft zu tun. Nichts, was geschehen war, hatte mit der Zukunft zu tun. So sah eine der großen Lebenslügen aus, vielleicht die größte.
»Warum ist er weggeblieben?« Sie antwortete nicht.
»Wohin ist er gegangen, Frau Richardsson?« »Ich weiß es nicht.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
Ihr Blick war jetzt auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, vielleicht dorthin, wo sich ihr Mann befand. Oder wo er gewesen war. Nein. Dort hatte sie keinen Zutritt. Dort wollte sie nicht sein. Auch die Erfahrung hatte Winter früher schon gemacht. Im Augenblick wollte sie nirgendwo in diesem Leben sein. Nirgends würde sie Schutz finden.
»Wann ist es das letzte Mal passiert?«
»Das letzte Mal?« Sie sah Winter an. »Vor etwa einem Jahr.« »Wie lange ist er damals weggeblieben?«
»Nur ... eine Nacht. Vielleicht zwei Tage.«
»Was hat er gesagt, als er wieder nach Hause kam?«
»Dass er ... nur herumgefahren sei. Er sei herumgefahren und habe nachgedacht.« »Zwei Tage lang?«
»Ja.«
»Hat er im Auto übernachtet?« »Das weiß ich nicht.«
»Haben Sie ihn nicht gefragt?«
»Nein.« »Warum nicht?«
»Weil ich es nicht wissen wollte«, antwortete sie etwas lauter. »Was wollten Sie nicht wissen, Frau Richardsson?«
»Können Sie nicht still sein?! Können Sie nicht gehen?!«
Die Stimme wurde noch lauter. Die Nachbarn. Winter schaute zu der Mauer, zu der Hecke, betrachtete das eingezäunte Gehege. Was würden die Nachbarn sagen? Was sagten sie jetzt? Bisher hatte er mit keinem Nachbarn gesprochen. Der Polizei lagen noch keine brauchbaren Aussagen von Nachbarn vor. Berit Richardssan schien sie im Augenblick vergessen zu haben, die Scham vergessen zu haben. Ein Mann auf der Flucht. Alle wussten es, selbst wenn sein Name nicht veröffentlicht worden war. So etwas wussten sofort alle. Wer er war, was er getan hatte. Richardssans Kinder wussten es. Sie versuchten sich zu verteidigen. Sich gegen ihr Leben zu verteidigen, dachte Winter.
»Möchten Sie wirklich, dass ich gehe?« Winter stand auf. »Sie haben mich angerufen.«
Sie antwortete nicht. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, sie hatte ihm den Rücken zugekehrt.
»Ich habe Leute nach Brännö geschickt, damit sie sich nach ihm erkundigen«, sagte Winter, »ihn suchen.«
Sie drehte sich um. Winter sah etwas in ihrem Blick. War es Erstaunen? Nein, etwas anderes. Verzweiflung? Nein. Erstaunen. Eine Art Erstaunen.
»Halten
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