Totes Meer
habe ich mich vorhin gekümmert. Aber den alten Mann habe ich nicht gesehen.«
Wieder ging ein Zittern durch das Schiffund brachte Malik und Carol aus dem Gleichgewicht. Die Wellen schlugen über die Reling, die jetzt knapp über dem Wasser hing. Blitze zuckten über den Himmel.
»Wir haben keine Zeit mehr«, sagte Chief Maxey. »Sie sind sich beide absolut sicher, dass sonst keine Lebenden mehr an Bord sind?«
Runkle und ich nickten.
»Dann schlage ich vor, dass wir gehen. Carol und die Kinder zuerst. Dann die Herren.«
Wir kletterten in das Rettungsboot, und Chief Maxey betätigte die Seilwinde, während ich unsere Vorräte an einer trockenen Stelle unter einer Sitzbank verstaute. Ich bemerkte, wie der Chief sich noch einmal umsah. Er schien den Tränen nahe. Die Winde
quietschte, als das Boot langsam zur aufgewühlten Meeresoberfläche abgesenkt wurde. Als wir ein Stück gesunken waren, sprang der Chiefan Bord. Die Seile strafften sich unter seinem zusätzlichen Gewicht, und das Rettungsboot schlug gegen die Seite des Schiffes. Carol schrie, der Rest von uns klammerte sich fest. Wir waren sechs, hatten aber nur vier Schwimmwesten. Runkle verzichtete, und der Chief bestand darauf, dass ich die letzte nahm. Die anderen gingen an Carol, Tasha und Malik. Sobald das Rettungsboot auf dem Wasser aufsetzte, löste der Chief die Seile und startete den Motor.
»Gott sei Dank haben wir nach Ihrem Ausflug zur Station aufgetankt«, sagte er. »Sonst wäre das eine sehr kurze Reise.«
Als wir uns von der Spratling entfernten, sah ich das Loch in ihrem Rumpf. Es war riesig – der zerfetzte, schwarze Stahl ragte hervor wie gezackte Zähne. Immer wieder schwappten Wellen durch das Loch und überfluteten den Innenraum. Inzwischen befand sich schon beinahe das halbe Schiff unter Wasser, und ich fragte mich, ob Fische durch die Gänge schwammen. Der Bug ragte in die Luft. Wasser floss in Strömen daran hinunter. Dichter, schwarzer Rauch und helle Flammen brachen aus einem Rohr am Kiel hervor.
»Jesus Christus«, flüsterte ich. »Seht euch das an.« Das Heck senkte sich Richtung Meeresgrund, und der Bug ragte steiler auf. Die Spratling lag wie ein senkrechter Pfeil im Wasser. Immer weiter entfernten wir uns von dem sinkenden Schiff. Chief Maxey
drehte den Motor voll auf und beschleunigte unsere Fahrt. Trotz des Regens breiteten sich Ölfeuer auf dem Meer aus. Ein Strudel bildete sich um das Wrack und saugte das schwimmende Treibgut ein, das vom Landedeck gerutscht war.
»Seht mal!« Malik stand auf und zeigte auf etwas. Die plötzliche Bewegung erschütterte das Boot und ließ uns alle zusammenzucken.
»Malik«, rügte Carol. »Setz dich hin, bevor du uns zum Kentern bringst.«
»Aber da ist Professor Williams.«
Wir schauten alle in die Richtung, in die er zeigte. Tatsächlich, da schwamm der untote Körper des Professors, hüpfte im Wasser, gefangen im Strudel. Seine Arme bewegten sich auf und ab, als würde er uns zum Abschied winken. Dann war er verschwunden, plötzlich unter die Oberfläche gesogen. Trauer regte sich in mir. Ich hatte den alten Mann gemocht. Ich würde nie mehr Pfeifentabak riechen können, ohne an ihn zu denken. Doch selbst in meiner Trauer wusste ich, dass er schon lange fort gewesen war. Er war gestorben, als der Fisch ihn infizierte.
Wenig später verschwand auch die Spratling unter der Oberfläche. Riesige Blasen zerplatzten auf dem Wasser und kennzeichneten ihren Abgang.
Als er sah, wie sie versank, traten Chief Maxey Tränen in die Augen.
»Damit versinkt alles, was ich je hatte«, sagte er. »Mein gesamtes Leben war mit diesem Schiff verbunden. Sie hat mir ein Ziel gegeben. Die besten Freunde,
die ich je hatte, waren die Jungs, mit denen ich auf ihr gedient habe. Damals waren wir noch so jung. Tolle Jungs. Die Besten. Sie waren das Salz der Erde. Ich habe seit Jahren mit keinem von ihnen gesprochen, aber ich habe immer an sie gedacht. Habe nie herausgefunden, was aus ihnen geworden ist, nachdem sie entlassen wurden. Ich schätze, das geht den meisten beim Militär so. Man dient zusammen und lebt enger miteinander als die meisten Menschen. Man schmiedet ein Band – ein unzerstörbares Band, das ein Zivilist weder verstehen noch schätzen kann. Man vertraut diesen Jungs sein Leben an. Man vertraut ihnen auf eine Art, wie man niemals jemand anderem vertrauen würde, auch nicht dem Partner oder den eigenen Kindern. Aber dann, wenn alles vorbei ist, verliert man den Kontakt. Ich habe
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