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Totes Zebra zugelaufen

Totes Zebra zugelaufen

Titel: Totes Zebra zugelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
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irgendeinem Hinweis. Er setzte sich mit anderen Polizeistationen in Kalifornien, Nevada und Arizona in Verbindung. Und am Ende dieses zweiten Tages harter Arbeit stand er mit leeren Händen da.
    Die Leiche des Unbekannten lag noch immer im Schauhaus von San Bernardino, von niemandem gesucht, von niemandem identifiziert. Das niederdrückendste war, daß das Verschwinden des Mannes keinen Menschen zu kümmern schien. Nirgends hatte eine beunruhigte Ehefrau angerufen, nirgends hatten Geschäftspartner Erkundigungen eingezogen. Der Mann — wer er auch gewesen sein mochte — schien in einem Vakuum gelebt zu haben.
    Tibbs wußte, daß Großstadtmenschen sich nur höchst selten umeinander kümmerten. Hauswirte interessierten sich nicht für das Tun und Lassen ihrer Mieter, solange die Miete pünktlich bezahlt wurde. Die Nachbarn hielten nichts mehr von nachbarlicher Gemeinschaft. Die meisten Autofahrer kannten weder Rücksicht noch Hilfsbereitschaft. Und wenn ein schwerwiegendes Verbrechen begangen worden war, meldeten sich nur wenige Zeugen freiwillig. Die meisten hatten Angst, in Unannehmlichkeiten verwickelt zu werden.
    Tibbs schlug sich diese Gedanken aus dem Kopf. Sobald sich alle Welt gegen ihn verschworen hatte, schien auch sein Verstand sich einen Spaß daraus zu machen, ihm jeden beschwerlichen und unglückseligen Fall ins Gedächtnis zu rufen. Sie passierten vor ihm Revue, längst vergangene Geschehnisse, die zurückgekehrt waren, um ihn zu bedrängen. Die Fehler, die ihm unterlaufen waren, die Strömungen, die gegen ihn gearbeitet hatten, die unzähligen Male, da er Demütigungen hatte hinnehmen müssen, nur weil er Neger war.
    Untätigkeit machte ihn rastlos. Er mußte etwas unternehmen. Je länger er in seinem Büro saß, desto größer wurde die Gefahr, daß Captain Lindholm auftauchte, um zu fragen, wann er den Fall abzuschließen gedachte. Schließlich holte er seinen Wagen, tankte und fuhr in östlicher Richtung zur Autobahn. Er ließ die Vororte von Pasadena hinter sich, passierte die Rennbahn von Santa Anita und kurvte dann durch die Hügellandschaft am Fuß der San-Bernardino-Mountains. Als er Claremont erreichte, brach die Sonne durch die Wolken, und mit der neuen Heiterkeit des Tages besserte sich auch seine Stimmung.
    An der kleinen Landstraße bog er ab, fuhr noch weitere fünfzehn Kilometer und hielt schließlich vor dem Tor von Sun Valley Lodge. Die Kette war nicht vorgelegt. Er schlug den schmalen Pfad zum Parkplatz ein. An diesem Tag standen mehrere Fahrzeuge da. Als Tibbs den Motor abschaltete, hörte er in der Ferne das Gelächter und Geschrei spielender Kinder.
    Er stieg aus dem Wagen und fragte sich, weshalb er eigentlich gekommen war. Es gab nur eine Antwort: Er mußte eine neue Spur finden. Doch er gestand sich ein, daß er keine Ahnung hatte, wo er danach suchen sollte. Er war überzeugt, daß die Nunns ihm nichts vorgemacht hatten. Ein strenges Kreuzverhör kam nicht in Frage, schon gar nicht auf ihrem Grund und Boden. Er wollte sich deshalb zunächst mit der Frage begnügen, ob etwas Neues vorgefallen war. Wenn sie verneinten, konnte er noch einmal jede Einzelheit durchkauen.
    Er war erst ein paar Schritte gegangen, als Forrest ihm entgegenkam. Tibbs spürte sofort, daß seine Herzlichkeit bei der Begrüßung echt war.
    »Hallo, Virgil«, sagte der Leiter des Camps. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit Vornamen anrede. Das ist bei uns so üblich.«
    »Aber gern«, versetzte Tibbs. Er stellte fest, daß Forrest Nunn wieder die ausgebleichte Khakihose trug. Das war offenbar sein Standardanzug beim Empfang von Gästen.
    Forrest ging voraus in die geräumige Küche, wo Emily eben eine Riesenschüssel Salat anrichtete. »Ah, Virgil«, rief sie. »Wie nett, daß Sie sich wieder sehen lassen. Sie essen doch mit uns?«
    »Natürlich«, erklärte Forrest, noch ehe Tibbs antworten konnte. Er holte zwei Kaffeetassen und stellte sie auf den Tisch.
    Tibbs wollte erklären, daß er in amtlicher Eigenschaft gekommen sei. Er öffnete den Mund, doch dann besann er sich eines Besseren. Diese Menschen wußten ohnehin, weshalb er hier war, doch sie behandelten ihn trotzdem als Gast. Er war ein Mensch wie sie, der ihnen willkommen war, der ebenso wie jeder andere tun und lassen konnte, was ihm beliebte. Ihm war, als hätte er das Tor zum Paradies durchschritten.
    Carole kam ins Zimmer. Sie war so braungebrannt, daß sie — wären nicht ihre hellen blauen Augen gewesen — als entfernte Verwandte Virgils

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