Totgeburt
Hierher, ja, genau. Trink, iss. Es ist genug da.“
Er nahm alles, was er bekam. Sie war eine gute Mutter. Es war dunkel und er konnte sie nicht sehen. Wie ein Baby, das an der Brust saugte, trank er bis der Busen nichts mehr hergab.
Als er fertig war, ließ er sich erschöpft nach hinten fallen. Er stieß auf und ein wenig von der warmen Flüssigkeit kam aus seinem Mund geschossen. Sie machte es weg.
Wusste sie nicht, dass es ihm gehörte?
Hörte er sie stöhnen?
Sie hielt seine Hand und streichelte seine Wangen und seine Stirn. Sie strich durch sein Haar, redete ihm gut zu. Worte einer Liebenden? Alles würde gut, das wusste er jetzt. Also schlief er wieder ein und träumte.
Er lag in seines Vaters Händen, es waren große und mächtige Hände, die alles verdunkelten. Kein Ton, kein Bild, kein einziger körperlicher Eindruck. Und dann hörte er das Wort. „Lugalbanda“, sagte die Stimme. Die Stimme bebte und erschütterte ihn. Wer war er? Das Nichts hatte ihn jedenfalls nicht verschlungen, es gab ihn ja noch. Also hatte der Trick funktioniert.
Da flammte es kurz auf, grelles Licht, pure Energie. Es suchte ihn, es blendete, brannte und zerrte an ihm. Es drohte, die Hände des Vaters zu durchdringen. Es suchte einen Weg durch die Hände, die ihn umhüllten wie einen Kokon.
Es fand einen Weg hinein in die Dunkelheit und bevor sich der Kokon ganz schließen konnte, hörte er noch das Wort. „Devadatta“, sagte die Stimme. Es war eine wortlose Stimme und er wusste vielmehr, was sie gesagt hatte, als dass er sie gehört hatte. Das Licht war wieder weg und er lag in der schützenden Dunkelheit.
Es war das Nichts gewesen, das zu ihm gesprochen hatte. Es hatte ihn verschlingen wollen, aber er war entkommen. Deswegen lauerte es auf ihn. Es hatte Hunger — so wie er. Es wollte ihn ganz für sich haben, mit niemanden sonst teilen. Es rief nach ihm und würde nicht Ruhe geben, ehe es ihn ganz verschlungen hatte.
Was blieb war Leere und Kälte und was blieb war der Hunger auf das Leben und der Hass auf die Lebenden.
Eines Tages würde das Nichts wieder nach ihm greifen und versuchen, ihn zu verschlingen. Wie würde es dann wohl ausgehen? Es konnte ruhig zurückkommen. Wenn er es einmal hatte austricksen können, konnte er es wieder tun. Er allein hatte es ausgetrickst!
Furcht stieg auf, als ihm bewusst wurde, dass es Bescheid wusste. Jetzt würde es ihn nie wieder aus dem Auge lassen. Es hatte ihm sogar einen Namen gegeben. Nein! An dem Tag, an dem sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden, würde er keine Furcht zeigen. Die Zeit der falschen Ehrfurcht war zu Ende … die andere Seite, die keine Seite war, lauerte auf ihn. Zeitlos. Formlos. Allgegenwärtig. Unveränderlich. Vollkommen …
XIII
Ein penetrantes Geräusch störte seine Ruhe. Ritsch. Ritsch. Ritsch, machte es. Eine Säge? Dann ein kurzes, dumpfes Geräusch. Etwas war hingefallen. Danach Ruhe. Dann raschelte es. Da war noch was. Musik? Genau. Leise Töne wehten ihm entgegen. Er hörte das alles zwar, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen. Was zum Teufel war da los?
Er sah unscharf, ein Schleier aus Fäden und verklumpten Blut verdeckte seine Sicht. Er rieb sich die Augen, seine Hände waren wieder frei. Vor ihm war nichts, nur eine graue Wand. Die Geräusche kamen von hinter ihm. Er sah auf den Boden. Er sah seine Beine. Die Fesseln waren verschwunden. Er sah sein Glied. Er war immer noch nackt. Eine Flasche stand neben ihm. Wasser. Er schraubte den Verschluss auf und kippte den Inhalt über seinem Kopf aus. Dann rieb er sich wieder die Augen. Die Kruste gab nach und er konnte sehen.
Seine Hände waren blutrot. Er wusch sie. Dann sah er sich erneut seinen Körper an. Das Wasser würde nicht reichen. Er sah sich die Flasche genauer an. Etwas Trinken? Er trank. War Wasser denn nicht gut? Doch, aber er hatte keinen Durst. Er legte die Flasche beiseite und stand auf. Die Beine hielten ihn.
Jetzt wo er wusste, dass er stehen konnte, wollte er wissen, was hinter seinem Rücken geschah. Langsam drehte er sich um. Eine Person saß, den Rücken zu ihm gekehrt, auf dem Boden. Sie? Es musste sie sein, wer sonst? Sie war in einen blauen Overall mit Kapuze gekleidet, wie Lackierer sie trugen. Sie verstaute gerade etwas in einer schwarzen Tüte, die sie anschließend mit Klebeband umwickelte. Das war also das Rascheln gewesen.
„Hallo?“, fragte er.
Die Person antwortete nicht. Was nun?
Langsam ging er auf sie zu. Mit jedem
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