Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
Vom Netzwerk:
Sie stand neben ihm, war gespannt auf das Resultat.
    „Gut so. Das wäre geschafft. Gleich kommt der letzte Schliff und dann geht's ab nach Hause.“
    „Nach Hause?“, fragte er.
    Sie kippte den Rest der Flasche mit der Bleiche in den Abfluss.
    „Oh, ich habe ja ganz vergessen, wie wohl du dich hier fühlst. Ein richtiges Kellerkind, nicht wahr?“
    Da war das Lächeln wieder und er konnte noch immer nichts damit anfangen. Sie zeigte viel Zahn, wenn sie lächelte — wie ein Raubtier. Wie hatte er bloß so blind sein können? Er erwiderte die Geste, damit ihre Laune nicht wieder kippen würde. Ja, sie war ein Monster.
    „Geht doch. Ein Lächeln öffnet Türen, Türen die zuvor verschlossen waren.“
    Sie wartete nicht auf Antwort und ging zielstrebig zu einem Regal. Im Regal standen Farbdosen. Sie nahm eine heraus und öffnete den Deckel mit einem Schraubenzieher, dann schüttete sie alles aus. Die mühsam geputzte Fläche leuchtete glänzend grün unter dem Schein der Lampe. Weitere Dosen folgten: weiß, gelb und noch mehr grün. Die letzte Dose, die sie öffnete, übergab sie ihm frech grinsend. Sie spielte wieder mit ihm.
    Er nahm die Dose in die Hand. Als er in die Öffnung sah, musste er auch lächeln.
    Rote Farbe ergoss sich über den Boden. Er ließ sich Zeit, kippte nicht alles auf einmal aus. So gut wie möglich, zog er die Umrisse eines Menschen. Wo er selbst vor kurzem noch gelegen hatte, lag jetzt sein zweidimensionales Double. Die Farben verliefen ineinander und die Suppe floss träge in Richtung Abfluss hinunter in die Kanalisation.
    „Das ist Kunst“, kommentierte sie lachend.
    Er lächelte auch. Das Lächeln blieb lange auf seinen Lippen, so lange bis es allmählich in ein zähnefletschendes Grinsens überging.
    Gemeinsam trugen die zwei die schwarzen Mülltüten aus dem Raum vor die Kellertür, wo sie sie ablegten. Dann zog sie die Tür ins Schloss, um sie erneut zu öffnen, dieses Mal jedoch gewaltsam mit einem Brecheisen.
    „Wie sollen die jugendlichen Randalierer sonst in den Raum gelangt sein?“, fragte sie mit gespielter Fassungslosigkeit.
    Draußen war es Nacht, ein heftiger Sturm war aufgezogen. Regen, schwer wie aus Eimern, ging auf sie nieder. Blitze flammten in der tiefen Wolkendecke auf und Donner grollte. Vereinzelt trat Licht aus den Wohnungen der Plattenbausiedlung, niemand schaute hinaus. Auch die Straßen waren menschenleer. Während er sich umsah und den Kopf in den Wind hielt, lud sie die Tüten in den Kofferraum eines Kombis. Eine vom Sturm getriebene Dose rollte die Straße auf und ab. Der Wind zerrte mal von der einen, dann wieder von der anderen Seite an ihr. Richtungslos rollte sie umher. Eine Tüte schoss durch die Luft und blieb in den schwankenden Ästen eines Baumes hängen. Die Straßenbeleuchtung tanzte, die Kabel gaben den Takt an. Pfeifender Wind spielte die Musik zum geisterhaften Ballett. Die enge des Kellers wurde aus seinem Körper gerissen. Hatte dort ein Gestank den anderen gejagt, so roch es hier nach süßem Nichts. Der Wind durchwühlte sein Haar und der Regen reinigte ihn.
    „Ich weiß, es ist wundervoll, aber die Fahrt wird lang. Steig ein.“

XIV
    Die Klimaanlage lief auf vollen Touren, genauso wie die Scheibenwischer und das Radio. Zusammengenommen ergab das ein nerviges akustisches Chaos und sie rauchten eine nach der anderen, dass die Luft dick wurde vom Qualm. So fuhren sie durch den Sturm, der das Auto mit starken Seitenwinden ins Wanken brachte. Nur selten kamen ihnen andere Autos entgegen.
    Wenn sie nicht am singen war, hing sie am Handy. Sie ließ sich informieren und beriet sich mit irgendwelchen Leuten. Es waren vielleicht eine handvoll von ihnen und sie grüßte sie alle wie alte Freunde. Sie entschuldigte sich irgendwann bei ihm, sagte, das Rudel sei froh, sie zurück zu haben und telefonierte dann weiter.
    Seltsam, sie war wie ausgetauscht. Alles was sie vorgegeben hatte zu sein, hatte sie nur gespielt. Zuvor hatte fast niemand bei ihr angerufen und er hatte gedacht, sie sei ein Außenseiter wie er. Innerhalb weniger Stunden hatte sich alles geändert.
    Das meiste von dem, was sie sagte, ergab keinen Sinn. Ihm fehlte der Zugang, schon die Namen waren ihm fremd. Das einzige, was er auf Anhieb verstand, war die Stimmung, die von ihr ausging. Es war eine unternehmerische Energie und die kannte nur ein Ziel: diese Leute hatten es geschafft, den Hass, den er selbst in sich spürte, und den Hunger, der ihn marterte, zu kontrollieren. Es lag

Weitere Kostenlose Bücher