Totgeburt
alles und jeden, aber nicht den eigenen Jäger. Über uns werden Bücher geschrieben, die Bibel ist eines davon, dass man doch denken müsste, dass man wenigstens ansatzweise versuchte, uns den Garaus zu machen. Egal wie oft du es wiederholst und sagst: ‚Es gibt uns, wir sind unter euch, wir wollen euch alle vernichten‘, keiner wird dir glauben. Die Leute sind so dumm zu wissen, dass es keine Monster unter ihrem Bett gibt, sodass sie automatisch davon ausgehen, dass es uns auch nicht geben kann. Caspar, wir sind wie Einhörner, schwule, weiße Einhörner, die im Märchenwald wohnen.
XXI
Es kam zu einer Planänderung, zumindest würde sich das so für die ahnungslosen Ohren Caspars anhören. Der Doktor hatte Marie darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Projekt sich seiner entscheidenden Phase näherte und nur noch eine einzige Sache getan werden musste. Er nannte den genauen Termin. Ab diesem Zeitpunkt, versprach der Alte, würde sie von ihren Pflichten als Aufpasserin entbunden sein. Nicht nur das, er hatte vernehmen lassen, dass sie und er ab dann getrennte Wege gehen würden. Sie wäre frei! Vorausgesetzt, das Projekt ging reibungslos über die Bühne, ermahnte er sie. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und schwor sich, bis dahin alles in ihrer Macht stehende zu tun, dass ihr Kleiner Bruder keinen Unsinn mehr anstellen konnte. Sie ahnte, sollte Caspar sich ohne Aufsicht in der Stadt aufhalten, würde er erneut zuschlagen.
„Es geht los, Caspar“, sagte Marie.
„Yeah, aber ich weiß nicht, ob ich heute in Stimmung bin. Ich kann nicht auf Kommando, weißt du?“
„Was laberst du für eine Kacke? Ach, es ist nicht, wie du denkst.“
„Wie ist es dann?“, fragte er misstrauisch.
„Die Familie ruft, also tun wir unsere Pflicht.“
Bei dem Wort Pflicht, guckte Caspar sauer.
„Die Familie ruft? Wenn du mir nicht sagst, worum es geht, dann geh ich nirgends hin.“
„Was für ein Baby du doch bist“, sagte Marie.
„Mag sein. Na, was tun wir?“, hakte er nach.
„Echt, ich hätt's dir sowieso gesagt, aber unterwegs. Wir müssen noch ein paar Sachen erledigen.“
„OK, das hört sich schon besser an.“
„Sorry, ich bin im Stress. Ich muss noch einige Punkte auf meiner Liste abhaken und will nichts davon vergessen.“
„Punkt eins?“, fragte Caspar.
„Du packst deine Sachen.“
„Packen? Wie lange sind wir denn weg?“
„Zwei, drei Wochen vielleicht.“
„Mann oh Mann, das ist lang. Also, wo geht's hin?“
„Nach Las Vegas, Baby!“, rief sie begeistert.
„Wow … was müssen wir in Vegas machen?“
„Wir begleiten einen unserer Brüder.“
„Babysitten? Willst du mich verarschen, das ist wirklich alles?“
„Haha“, lachte sie, du Wichser, dachte sie. „Ansonsten amüsieren wir uns natürlich!“
„Yeeeha! Wieso sagst du das nicht gleich?“
Caspar verstand seine Schwester nicht. Er hatte sich auf einen Last Minute Urlaub eingestellt, doch sie würden erst in einer Woche fliegen. Nachdem er gepackt hatte, folgte Punkt zwei auf Maries Liste. Sie ließen Fotos bei einem Fotografen machen. Er bekam nämlich einen neuen Reisepass und den zu beantragen, wie sie es nannte, dauerte seine Zeit.
Warum er in der Zwischenzeit nicht in der Stadt bleiben durfte, hatte er wissen wollen, als er merkte, dass keine weiteren Punkte folgten. Sie hatte geantwortet, dass sie den Flug nicht verpassen durften — er hatte sie das fünf Tage vor Abreise gefragt!
***
„Oh, darf ich am Fenster sitzen?“, fragte Caspar, der sich dicht an seine Schwester drängte, um den Prozess des Check-In besser verfolgen zu können. Sein neuer Ausweis war problemlos akzeptiert worden.
„Klar, wenn du willst“, entgegnete Marie, die mit Caspars Drang Nähe zu suchen nicht zurecht kommen wollte.
„Ist echt Bombe von dir“, sagte er.
„Haha, lustig, du Idiot. Wehe du machst solche Witze, wenn wir auf der anderen Seite sind.“
„Ich bin noch nie geflogen, weißt du?“
„Ich weiß.“
„Statistisch gesehen —“
„Ist es wahrscheinlicher in der Wüste zu ertrinken, als bei einem Flugzeugunglück zu sterben.“
„Echt, jetzt?“
„Fertig! Los, lass uns Kaffee trinken gehen“, platzte es aus ihr heraus.
„Müssen wir das Gepäck nicht abgeben?“
„Nein, Handgepäck nimmt man mit an Bord.“
Marie hatte beschlossen, es sei bequemer, sich in Las Vegas mit dem Nötigsten einzudecken, als ständig sperrige Koffer mit sich zu schleppen und zudem noch ihren Bruder im Griff zu behalten
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