Totgeburt
— was für einen Stress Eltern doch haben mussten, die mit Kindern reisten. Der reinste Albtraum!
Die Beiden würden während des Fluges nebeneinander sitzen. Wo ihr Begleiter, der Doktor, sitzen würde, war ihr egal, Hauptsache nicht neben ihnen. Eine Nervensäge auszuhalten, war schon schlimm genug.
Per SMS informierte sie den Alten darüber, in welchem Café sie sich aufhielten, falls er noch zu ihnen stoßen wollte. Er wollte es nicht, wie seine Abwesenheit verriet. Daher trafen sie ihn erst kurz vor Boarding im Wartebereich des Gates.
„Herr Doktor“, sagte Marie.
Überraschenderweise bot der Alte ihr die Hand zum Gruß an. Das war bisher nur einmal geschehen und zwar bei ihrem ersten Zusammentreffen. Ob er am Ende sentimental wurde? Sie war es jedenfalls nicht.
„Hallo Marie. Hallo Caspar.“
Er reichte auch ihm die Hand.
„Hallo. Na, wenn das nicht mal der alte Herr Merkel ist“, sagte Caspar.
„Ha, Merkel. Ich vergaß. Nenn mich einfach Herr Doktor.“
„OK, Doc.“
Das Gesicht des Alten blühte auf, er lächelte. Wie konnte das sein?
„Die Jugend von heute, keinen Respekt vor dem Alter“, witzelte er und Marie verstand die Welt endgültig nicht mehr.
„Wieso sollte ich keinen Respekt vor Ihnen haben, Herr Doktor?“
„Siehst du, Marie. Es geht doch.“
„Wir begleiten Sie nach Vegas. Was werden wir dort tun?“, fragte Caspar.
„Ich stelle dich deiner Schwester vor“, antwortete der Doktor.
„Meine Schwester?“
„Ja, ihr seid zusammen aus dem Ei geschlüpft. Zwillinge. Haha, falsche Zwillinge, aber immerhin derselbe Wurf.“
„Komisch, hatte ich irgendwie geahnt.“
„So, wirklich?“, fragte der Doktor interessiert.
„Ja. Oder soll ich lieber sagen, Sebastian hatte es geahnt.“
„Die gemeinsame Zeit im Bauch scheint sehr prägend zu sein. Ich habe schon öfter gehört, das Geschwister, die nach der Geburt voneinander getrennt wurden, einander vermissen. Ist sie denn nicht mehr deine Schwester?“
„Keine Ahnung. Das werden wir ja bald sehen. Wenn nicht, bleibt mir immer noch Marie“, sagte Caspar und strich mit seiner Hand über die ihre.
„Das gleiche Blut“, kommentierte der Alte, aber er hatte nur noch Augen für sein Experiment.
„Ist das der einzige Grund für unsere Reise?“, fragte Caspar.
„Ja. Es geht nur um dich und um deine Schwester und darum, was ihr für die Familie tun werdet.“
„Was werden wir tun?“
„Das, mein lieber Caspar, soll eine Überraschung werden“, sagte er und grinste Marie an. „Aber denk mal scharf nach. Was kannst du besonders gut?“
„Ficken“, antwortete dieser.
Damit war die Sache für ihn erledigt und Caspar tat, was er nie tat, er gab Ruhe. Der Doktor verabschiedete sich, ging ein Stück und nahm Platz. Sein Kopf verschwand hinter einer ausgebreiteten Zeitung, deren Titelblatt von der Schuldenkrise, den Anhaltenden Protesten in Russland und dem Bürgerkrieg in Syrien Kunde tat. Caspar und Marie gingen in die entgegengesetzte Richtung und nahmen ebenfalls Platz.
***
Die Vibrationen des Flugzeugs übertrugen sich auf seinen Körper, während die Motoren die nötige Kraft sammelten, um sie schließlich explosionsartig frei zu lassen.
Sie wurden in ihre Sitze gedrückt.
Während sie über die Piste rasten, sah er aus dem Fenster, wo die Gebäude, Autos und parkenden Jets an ihnen vorbei sausten. Sekunden später gelangten sie an das Ende der Startbahn und ihr Vogel zog steil nach oben.
Take-off!
Es kam ihm vor wie ein kollektiv begangener Orgasmus, der alle Passagiere des Transatlantikflugs nach Las Vegas in einer einzigen Orgie zusammenschweißte.
Sie kletterten weiter nach oben und nach wenigen Metern war die Reduktion der Menschen auf kleine, unscheinbare Punkte, welche sich den Ameisen gleich da unten tummelten, abgeschlossen. Mit jedem weiteren Meter, den sie an Höhe gewannen, verließ die Erde der letzte Schein absoluter Größe. Vor Caspars Augen eröffnete sich das ganze Ausmaß der hässlichen Stadt, die eingebettet war in eine entartete Kulturlandschaft: Wiesen, Felder, Forst.
Wie hatten die Ameisen es nur geschafft, sich alles zu nehmen?
Endlich legten sich die Wolken über das groteske Reich der Menschen, als ob sie die Scharm zu bedecken versuchten. Schon machten die Stewardessen sich wieder bemerkbar und übten auf charmante Art und Weise ihre Funktion als Massenkontrolleure aus.
„Tee oder Kaffee?“, fragte die brünette Schönheit alle Welt.
‚Blasen oder vaginal‘ zu
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