Totgeglaubt
in den Ledersessel ihres Vaters fallen. Sie hatte mit diesem Anruf gerechnet. “Wie geht’s dir?”
“Gut. Und dir?”
“Ich faulenze.”
“Das hört sich gut an. Ich habe die Bibel, nach der du gefragt hast. Ich bin sie Wort für Wort durchgegangen und kann nichts finden, was nach einem Hinweis aussieht. Aber ich leih sie dir gern aus.”
“Ein zweites Paar Augen sieht vielleicht mehr. Ich komme im Fall deines Vaters nicht wirklich schnell voran, aber ich bleibe am Ball. Es dauert einfach eine Weile, das ganze Material zu sichten, besonders, wenn man versucht, sich dabei noch Notizen zu machen.”
“Klar, verstehe ich. Ich danke dir, dass du so gründlich bist. Ich bin sicher, dass du das fehlende Puzzlestück findest.”
Die Hoffnung in Madelines Stimme machte Allie traurig. Maddy wartete nun schon neunzehn Jahre lang darauf, zu erfahren, was mit ihrem Vater passiert war. Kaum vorstellbar, wie schwierig das für sie sein musste. “Ich kann dir nichts versprechen, aber ich werde mein Bestes geben.”
“Wenn mir irgendjemand helfen kann, dann du.”
Allie konnte sich nur wünschen, Madelines Vertrauen nicht zu enttäuschen. Auf jeden Fall, den sie gelöst hatte, kamen mindestens fünf, an denen sie gescheitert war. Das gehörte zum Job. Sie hatte diese Statistik erwähnt, als sie Madeline das Zeitungsinterview gegeben hatte. Sie hatte über Beweismittel gesprochen, die in einem so schlechten Zustand waren, dass sie vor Gericht nicht mehr verwendet werden konnten. Und sie hatte von den Zeugen erzählt, die entweder gestorben waren oder sich nicht mehr an das erinnern konnten, was sie gesehen oder gehört hatten. Doch Madeline hatte sich ganz auf Allies Erfolge konzentriert. Offenbar würde Madelines fünfteilige Reportage Allies härteste Fälle dokumentieren, und zwar nur die, die sie erfolgreich gelöst hatte.
Vielleicht wollte Madeline diese Geschichten ja auch nur erzählen, um ihre eigene Zuversicht zu stärken?
“Ich werde mein Bestes tun”, wiederholte Allie mit Nachdruck.
“Das weiß ich. Aber ich habe eine ganz andere Frage.”
Allie rollte mit dem Sessel näher an den Schreibtisch heran und ließ ihren Blick beiläufig über das Adressregister ihres Vaters schweifen. “Worum geht’s?”
“Musst du heute Abend arbeiten?”
“Nein, warum?” Bei der handgeschriebenen Nummer eines Blumengeschäfts in Corinth blieb sie hängen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater je Blumen bestellt hatte. Dazu war er viel zu nüchtern. War irgendjemand gestorben? Wenn ja, war es zumindest niemand, der ihnen nahegestanden hatte. Und wenn es eine berufliche Angelegenheit war, hätte ihr Vater sie vom Revier aus geregelt …
“Hättest du Lust, mit zum Tanzen oder Billardspielen zu kommen? Ich würde mich freuen!”
Während Allie über Madelines Vorschlag nachdachte, blätterte sie weiter durch die Adresskarten. Sie mochte Madeline sehr und wäre unter anderen Umständen gerne mit ihr ausgegangen. Früher, als Kinder, hatten sie oft zusammengesteckt. Und es gab noch einige andere Leute von damals, die sie gerne wiedergetroffen hätte, auch wenn ihre zwei besten Freunde aus Highschoolzeiten kurz nach ihr weggezogen waren. Doch bislang war sie zu sehr damit beschäftigt gewesen, Whitney in der neuen Schule einzugewöhnen und sich mit ihrem Job vertraut zu machen.
Und heute Abend war sie einfach zu müde. “Ich würde gern, wenn ich meine Augen aufhalten könnte”, sagte sie mit einem unterdrückten Gähnen. “Ich muss mich erst noch an die Nachtschichten gewöhnen.”
“Komm schon!” Madeline schien ehrlich enttäuscht zu sein. “Clay hat auch gehofft, du würdest mitkommen.”
“
Clay?”
Allie verschluckte sich fast an seinem Namen.
“Er hat mich vor ein paar Minuten angerufen und gebeten, dich einzuladen.”
Allie fiel fast die Kinnlade herunter. Unmittelbar stand ihr Clays Bild vor Augen – Clay auf dem Foto, das unter ihrer Matratze steckte. “Wieso will dein Bruder, dass ich mitkomme?”
“Er sagte, er würde dich gern kennenlernen und vielleicht mit dir über Dad sprechen.”
Dad
… Die Art, wie Madeline das Wort betonte, legte nahe, dass es aus Clays Mund stammte. Doch zumindest in Allies Gegenwart hatte Clay den Reverend nicht so genannt. Sprach er mit Madeline anders von ihm?
Es könnte ganz interessant sein, dachte Allie, die beiden zusammen zu erleben. Sie zu sehen, wenn sie entspannt waren und sich nicht von aller Welt beobachtet fühlten. Die Art und
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