Totgekuesste leben laenger
vorhatte.
»Bleib bei Josh«, wiederholte ich beharrlich. Vor lauter Frustration leuchtete sie doppelt so hell auf. Nakita kam auf mich zu und ich wich zurück, versuchte, mir genügend Zeit und Platz zu verschaffen, um herauszufinden, wie ich mich von ihrem Amulett trennen konnte. Ich spürte die Verbindung nicht, aber sie musste da sein. Und ich würde es nicht schaffen, gleichzeitig gegen Nakita zu kämpfen und diese Verbindung zu finden.
Mein Blick wanderte hinüber zu Josh, der mit gesenktem Kopf auf der Erde kniete. Ich dachte an meinen Dad, daran, dass ich ihn gern wiedersehen würde. Ich dachte an all die Menschen, die ihr Leben lebten, Augenblick für Augenblick, und die sich dieses Geschenks gar nicht bewusst waren. Ich war nicht bereit zu gehen. Ich musste es irgendwie schaffen, eine stärkere Verbindung zwischen mir und Nakitas Amulett herstellen, damit ich sie durchbrechen konnte - und ich musste es hinkriegen, ohne die Macht des tödlichen Steins anzurufen.
Mit geschlossenen Augen, in der Hoffnung, dass es kein Fehler war, ließ ich zu, dass sie mich berührte. Als ihre Hand sich in meine Schulter krallte, erstarrte ich. Ich zwang mich, in mein Unterbewusstsein einzutauchen, und ließ die Existenz meines Amuletts mein geistiges Blickfeld ausfüllen. Daneben befand sich eine weitere, viel schwächere Erscheinung. Von Nakitas Amulett führten weitaus weniger Fäden zu mir, doch während ich dort hinsah, vermehrten sie sich und machten mich fester, wirklicher. Toter, dachte ich und versuchte, die Linien zu zerteilen, zerstörte dabei aber nur die Fäden zwischen mir und meinem Amulett.
Nakita spürte das und zuckte zurück, aber ihre Hand lag immer noch auf meiner Schulter und ich war nicht unsichtbar. Ich konnte die Verbindung zwischen ihrem Amulett und mir nicht durchbrechen, wenn ich nicht die Kontrolle darüber übernahm, und das wiederum ging nur, wenn ich es für mich beanspruchte. Und wenn ich das tat, würde ich zu Staub zerfallen. Aber ihr Schwert, dachte ich plötzlich. Es war doch aus ihrem Amulett gemacht. Direkt mit ihm verbunden. Wenn ich es vielleicht darüber versuchte…
Als Nakita überrascht aufschrie, schlug ich die Augen auf. Grace schwebte über Josh und umhüllte ihn mit ihrem verschwommenen Licht. Sie war schön und wild, eine so schroffe Schönheit, dass es wehtat, sie anzusehen. Und sie weinte. Sie weinte meinetwegen. Ich wollte ihr sagen, dass alles in Ordnung war, aber ich konnte mich nicht an die richtigen Worte erinnern. Irgendwas fiel auf mich, ich taumelte und wäre selbst gefallen, wenn Nakita mich nicht festgehalten hätte. Ich sah, wie sich ihre Augen weiteten. Ihr Mund öffnete sich und in ihr Gesicht trat Entsetzen. Ein unerwarteter, überwältigender Schmerz ließ mich mit einem Ruck erstarren. Ich fiel auf die Knie, als Nakita mich von sich stieß. Voll Grauen wurde mir plötzlich klar, was das war. Ein Schwarzflügel. Ein Schwarzflügel hatte mich gefunden.
Eine Kälte, die so stark war, dass sie sich anfühlte wie Feuer fuhr mir durchs Rückgrat bis in den Kopf. Ich keuchte, mein Schrei blieb mir im Hals stecken. Da war nicht der Tod. Es war das Gefühl, nie existiert zu haben, kein Dasein zu besitzen. Der Schwarzflügel nahm mir meine Erinnerungen und ließ stattdessen nur Leere zurück. Er zerstörte mich, entriss mir meine Vergangenheit, Augenblick für Augenblick, Jahr für Jahr.
Meine Instinkte drückten mich zurück auf den Boden. Rasend vor Schmerz wand ich mich und versuchte, den Schwarzflügel abzuschütteln. Ich packte ihn, wollte ihn von mir wegreißen, doch die kalte Membran klebte an mir wie eine zweite Haut, die mich aussaugte. Sie fraß meine Seele auf und verbrannte mich, wenn ich sie mit den Händen berührte.
Ich kam auf die Beine, auch wenn jede Bewegung unerträglich schmerzte. Doch kaum stand ich, da strauchelte ich schon wieder, als sich ein weiterer Schwarzflügel auf mich fallen ließ. Ich stand unter Schock, konnte nichts tun. Der Schmerz hatte mich wieder sichtbar werden lassen - ich konnte noch nicht einmal mein Amulett sehen, geschweige denn die Fäden, die mich damit verbanden - und so stand ich schwankend da und sah Nakita an.
Ich hatte versagt. Ich hatte einen Fehler gemacht und jetzt würde ich sterben. Die kluge, schöne Nakita hatte mein Ende und meinen Stein ganz ohne Schwierigkeiten erlangt. Wenn ich nichts unternahm, würde ich aus meinem Dasein gefressen werden. Ich sollte dankbar sein. Ich hatte noch einen Sommer leben
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