Totgelebt (German Edition)
gehört, sie hatte schon Angst, dass er es sich anders überlegt hatte, aber gestern Abend, da war er wieder da, nur ganz kurz, sie hatten nur drei, vier Sätze ausgetauscht. Er hatte ihr gesagt, dass alles nach Plan läuft und heute Abend im Wald alles vorbereitet sei. Ich bin da, ich helfe d ir – das hatte er ihr gesagt, versprochen. Von da an war alles gut, sie hatte fast das Gefühl zu schweben, sie hatte Lust zu singen, zu tanzen. Sie wusste einfach, dass alles gut werden würde. Sie wusste, das ist das richtige Ende von diesem schrecklichen Leben. Sie sprang auf, Mist , ich komme noch zu spät. Sie musste die U-Bahn nehmen. Sie musste sich nur leise an ihrer Mutter und dem Mistkerl vorbei schleichen. Aber die schauten Fernsehen und hatten die Türe zum Wohnzimmer geschlossen, das war kein Problem, das hatte sie schon oft gemacht. Sie schaute ein letztes Mal in ihrem Zimmer herum, sie hatte ihr Leben aufgerä umt und Abschied genommen. Für i hre Mutter hatte sie einen Brief geschrieben. Sie hoffte, dass diese ihr verzeihen und sie verstehen würde. Ob sie um mich weinen wird?, fragte sie sich. Ob sie sich von ihm trennt? Das Schwein war vorletzte Nacht ein letztes Mal zu ihr gekommen, das allerletzte Mal. Das sagte sie sich die ganze Zeit, während er auf ihr rumrutschte und sie seinen schwitzigen Körper unendlich schwer auf sich fühlte. Nie wieder wird dieses Schwein mich anfassen. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie im Forum zu Emma eine Andeutung gemacht hatte. Er hatte ihr verboten, auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Aber was hatte sie schon gesagt. Damit konnte Emma eigentlich nichts anfangen . Nur dass sie einfach warten soll. Aber sie war so glücklich, so gerne hätte sie das mit jemandem geteilt, sie hätte so gerne im Forum gesagt: „Ja, ich tue es heute Abend, das war es. Morgen bin ich nicht mehr hier, ihr seht mich nie, nie wieder hier. Ich werde es tun, habt ihr mich verstanden ? Ich handele endlich mal und rede nicht nur die ganze Zeit.“ Aber das durfte sie ja nicht. Emma w ürde es nicht richtig verstehen, b eruhigte sie sich. Dann schlich sie aus dem Zimmer, löschte das Licht im Herausgehen , zog die Türe leise hinter sich ins Schloss. Auf Zehenspitzen ging sie Schritt für Schritt durch den dunklen Flur. Sie vernahm ein Murmeln aus dem Wohnzimmer, der Fernseher lief. Sie öffnete die Wohnungstür und verschloss diese von a ußen mit dem Schlüssel. Geschafft. Im Treppenhaus machte sie kein Licht, sondern ging die zwei Etagen wie im Schlaf im Dunkeln hinunter. Auch die Haustüre schloss sie leise von außen mit dem Schlüssel. Geschafft, sie atmete aus. Dann rannte sie los zur U-Bahn-Station.
Einige Minuten später parkte Paula direkt vor der Tür. Sie hastete aus dem Wagen und schellte. Beim zweiten Schellen wurde die Türe geöffnet. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, kam sie außer Atem in der zweiten Etage an. Eine Frau stand im Türrahmen, der Wohnungsflur war hell erleuchtet. Die Frau sah sie verwundert an. „Was ist denn los?“, fragte sie Paula.
„Frau Richter?“, rief Paula ihr entgegen und zog zeitgleich ihren Ausweis hervor.
Als die Frau nickte, gesellte sich ein Mann dazu. „Was wollen S ie“, rief er schroff aus dem Flur.
„ Paula Franz von der Polizei. Ich muss dringend mit ihrer Tochter sprechen.“
F rau Richter sah jetzt ängstlich aus. „Was hat sie angestellt oder ist was passiert?“
Paula schüttete den Kopf und sah wieder auf ihre Uhr. Sie ging einen Schritt auf die Wohnung zu, sie durfte keine Zeit verlieren. „Frau Richter, ich erkläre ihnen die näheren Umstände gleich, ich muss jetzt erst ein mal zu ihrer Tochter. Bitte“, sie sah die Frau eindringlich an. Diese trat einen Schritt zur Seite und zeigte auf ein dunkles Zimmer am Ende des Flurs.
Der Mann mustert Paula unfreundlich. „Sie können hier nicht einfach eindringen. Um was geht es, das sollten sie uns zunächst mal erklären.“ Er stellte sich Paula in den Weg und sah sie abschätzend an.
„Glauben Sie mir, ich möchte nur helfen. Ich erkläre es ihnen sofort, nachdem ich mit ihrer Tochter gesprochen habe.“ Paula zwängte sich an dem Mann vorbei und lief schnell Richtung Lilianes Zimmer. Sie klopfte einmal kurz, obwohl sie keine große Hoffnung hatte, das Mädchen noch in der Wohnung vorzufinden. Ansonsten wäre sie sicherlich von dem Lärm aufgewacht und hätte nachgeschaut, was die Ursache dafür wäre.
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