Totgelesen (German Edition)
Taschenlampe angewiesen, welche wiederum ihn sichtbar werden ließ. Doch hier kam er ohne zurecht. Das erste Hindernis war ein schmiedeeisernes Tor, welches für ihn nicht wirklich ein Problem darstellte.
Die erste Hürde hinter sich lassend, lief er ein Stück den Zaun entlang. Den direkten Weg über die Auffahrt konnte er nicht wagen, denn bei solch einem Anwesen waren immer elektronische Melder eingebaut, die bei jeder Bewegung Laternen aufleuchten ließen. Für ihn eine schreckliche Errungenschaft der modernen Technik.
Der gefrorene Rasen knickte unter seinen Füßen, während er den Hügel zum Haus hinaufschlich. Falls ein Schuhabdruck erhalten bleiben sollte, hatte er vorgesorgt. Zu jedem Einbruch gönnte er sich ein neues Paar Turnschuhe. Zwei Nummern größer als die Schuhe, die er normalerweise trug - damit man ihm nichts beweisen konnte, aber er dennoch fähig war, damit zu laufen. Die Polizei war listig; so listig, dass sie einem Einbrecher das Leben ganz schön schwer machen konnte. Jedes noch so kleine Steinchen, jede kleinste Abnützung konnten sie am Sohlenprofil erkennen und ihn damit überführen. Ins Gefängnis wegen eines Steins? Nicht mit ihm. Er sorgte vor. Nie wieder würden sie ihn schnappen. Das hatte er sich geschworen. Nie wieder.
Bevor er das Haus erreichte, stülpte er sich die Kapuze seines schwarzen Pullovers über den Kopf. Nun war er kaum noch sichtbar, die Nacht verschluckte ihn. Er drückte sich mit geschmeidigen Bewegungen die Hausmauer entlang. Der Bewegungsmelder der Außenbeleuchtung durfte ihn nicht erfassen. Übung macht den Meister. Und er war ein Meister. Es war dunkel geblieben, wie erhofft. Jetzt stand er vor der prunkvoll verzierten Eingangstür.
Zu seinem Entsetzen klebte dort ein blau-gelber Aufkleber einer Sicherheitsfirma. Wenn das Haus wirklich von dieser Firma gesichert worden war, bestand selbst für ihn keine Chance hineinzukommen. Besser gesagt, wieder herauszukommen, ohne von der Polizei erwartet zu werden.
Dieses Mal würde er sich nicht verhaften lassen. Nie wieder Knast, das hatte er sich geschworen, da verzichtete er lieber auf den Auftrag. Obwohl es für einen Profieinbrecher wie ihn nichts Besseres gab, als solch einen Auftragsbruch. Er musste nur rein, sich die Beute krallen und wieder raus. Normalerweise ein leichtes Spiel.
Er wendete sich vom Eingang ab, um die Hinterseite der Villa zu inspizieren. Auf dem Weg dorthin empfing ihn ein offenes Fenster. Ohne einen weiteren Gedanken an die Alarmanlage zu verschwenden, stieg er in einen Raum, der anscheinend gelüftet wurde, um den Gestank nach frischer Farbe zu vertreiben. Am liebsten hätte er einen der herumliegenden Pinsel genommen und mit großen Buchstaben auf die Wand gemalt: Doch das musste er sich leider verkneifen - keiner sollte je erfahren, dass er hier gewesen war.
»Nach der Eingangshalle die Treppen rauf, ins letzte Zimmer links«, so lautete sein Auftrag. »Auch wenn dir die Sachen dort noch so gefallen, nimm nichts mit. Du wirst gut bezahlt, also enttäusch mich nicht. Nur rein, rauf, erledige deine Arbeit und raus.«
Nach all der Pracht, die er hier im Vorraum sah, war das schwerer als der Bruch selbst. Gleich neben der Tür hing ein Werk von Gerhard Richter, daneben sogar ein Rainer. Zwei Schritte weiter wurde man mit Gottfried Helnwein verwöhnt. Dass die Bilder keine Imitate waren, sagte ihm sein Fachwissen auf den ersten Blick.
Die riesige Wendeltreppe erinnerte ihn an Aschenputtel, die auf genau so einer Treppe ihren Schuh verloren hatte. Der Flur im ersten Stock war mit einem Perser ausgelegt, an dem ganze Schulklassen geknüpft haben mussten. Vor der zweiten Tür stand ein kleiner Biedermeiertisch mit einer seltenen Vase aus Murano-Glas. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe ließ das Glas funkeln. Er konnte es sich nicht verkneifen, er musste die Vase genauer betrachten. Seine behandschuhten Hände streichelten die feinen Rillen, die ein begnadeter Glasbläser diesem Meisterwerk geschenkt hatte. Selbst im Halbdunkel des Flures erkannte er die Echtheit des Stücks.
2.000 Euro waren ihm versprochen - 1.000 hatte er bereits. So viel war die Vase auch wieder nicht wert. Also ran an den Auftrag und rein ins Arbeitszimmer. Nur Sekunden reichten ihm, sich zu orientieren und den Laptop zu finden.
»Du musst das Manuskript suchen. Ich will wissen, worum es darin geht. Finde es und kopier es«, hatte sein Auftraggeber befohlen.
Vor Jahren hätte er
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