Totgelesen (German Edition)
Auf dem Kühlschrank hingen Bilder, die von den Jungs gemalt worden waren. Eine Vase, die aussah wie ein überdimensionaler Schneemann, diente als Kochlöffelhalter. Die ganze Wohnung war mit solch liebevollen Details geschmückt. Überall hingen kleine Basteleien, die von den Kindern im Kindergarten produziert worden waren.
Monika beobachtete ihre Schwester, wie sie aus einer rotbraunen Masse Laibchen formte. Ihr dichtes dunkles Haar war nicht wie Monikas gelockt, sondern fiel in geraden Bahnen bis zu ihren Schultern. Ansonsten sahen sich die beiden Schwestern verblüffend ähnlich, obwohl sie unterschiedliche Väter hatten. Beide besaßen dieselbe kleine Nase und das ausgeprägte Kinn. Es war, als ob ihre Mutter die Väter ihrer Töchter aus ihrem Gedächtnis und gleichzeitig aus deren Erbanlagen gestrichen hätte. Sabine war ihrem Vater nie begegnet. Monika kannte ihren - sah ihn aber nie. Sie wusste nicht mal, ob er noch lebte. Bei dem Alkoholismus - den er bei seinen Besuchen unfähig war zu verstecken - war das aber eher unwahrscheinlich.
»Apropos Essen, du hast ein Rendezvous.« Sabines Worte rissen Monika aus ihren Familienbetrachtungen.
»Ich habe was?«
Hastig rührte Sabine in der Tomatensauce, während sie Monika informierte. »Ich habe meinen Spürsinn eingeschaltet und den perfekten Mann für dich gefunden. Naja, ob er perfekt ist, weiß ich nicht, aber er ist Ende dreißig und ledig. Es war gar nicht so einfach, jemand zu finden … vor allem nicht in meinem Bekanntenkreis. Du weißt schon, die sind alle verheiratet oder vergeben. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und dabei bin ich auf ihn gestoßen. Er heißt Erwin, ist Zahnarzt und sieht blendend aus. Der Schwarm aller Frauen sozusagen.« Sabine redete schnell, als ob sie es hinter sich bringen wollte. »Du brauchst gar nicht so verdattert zu schauen. Ich hab`s für dich getan. Kopf hoch! Du triffst dich mit ihm, siehst ihn dir an und … heiratest ihn nächsten Monat.«
Aufgrund Monikas steinernen Gesichtsausdrucks schaffte es Sabine nicht, sich das Lachen zu verkneifen. Das löste auch Monikas Erstarrung. Sie schnappte sich ein Geschirrtuch und schleuderte es auf ihre Schwester.
»Du spinnst! Du Verräterin!«
Sabine fing das Geschirrtuch und warf es zurück, woraufhin Monika sich ein Zierkissen schnappte und damit auf ihre Schwester losging. Nach einer kurzen Rangelei setzten sich die beiden Schwestern lachend an den Küchentisch.
»Bitte sag mir, dass das nicht dein Ernst ist.«
Sabine schnaufte, da sie vor Lachen noch immer kaum Luft bekam.
»Bedaure, du hast nächsten Donnerstag um sieben Uhr ein Randi im Restaurant »Kohnhauser. Tisch ist reserviert; Nummer von ihm bekommst du nicht, sonst sagst du mir noch ab.«
»Nächsten Donnerstag?«
»Ja, ich weiß, das ist noch lang bis dahin, doch vorher hat er leider keine Zeit. Muss immer arbeiten, der Arme.«
Donnerstag - nur noch vier Tage, um sich eine Ausrede einfallen zu lassen, denn ohne triftigen Grund würde Sabine sie da nicht rauslassen. Erstmal wechselte sie das Thema.
»Wo sind die Jungs eigentlich hin?«
»Die sind in ihrem Zimmer. Seit ein paar Tagen hocken sie ständig in ihrer Höhle und hecken irgendetwas aus. Schau mal, ob du was raus bekommst, mir sagen sie nichts.«
Monika verließ ihre Schwester, um sich ihren Neffen zu widmen. An der Zimmertür der beiden angekommen, klopfte sie zweimal kurz hintereinander, danach zweimal langsam - ihr geheimer Erkennungscode.
»Willst du sehen, was wir gefunden haben?« Martin öffnete die Tür und zog Monika herein. Die beiden hatten Decken und Stoffreste so zwischen Bett und Kasten gespannt, dass dahinter eine Höhle entstanden war. Monika schob ein Stück Vorhang zur Seite und rutschte auf Knien in ihr Reich.
»Du hattest doch letzten Monat Geburtstag. Mami hat es uns nicht gesagt, deshalb hatten wir kein Geschenk für dich.«
Monika erinnerte sich daran, wie herzzerreißend die beiden geweint hatten. Das rührte sie mehr, als es jedes Geschenk gekonnt hätte.
»Natürlich weiß ich das noch, aber ich habe euch bereits mehrfach gesagt, wie unwichtig Geburtstage für mich sind. Außer es handelt sich um eure.«
Sie kitzelte die beiden, bis die zwei durcheinander kullerten.
Martin erholte sich schneller und sagte: »Ist eh egal, jetzt haben wir was.«
»Ich habe es gefunden und gleich gesagt, das ist für Tante Moni.« Chris buhlte um Monikas Aufmerksamkeit.
»Heh, ist gar nicht wahr. Ich habe es gefunden.«
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