totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Einladungen für die Fernsehpreisverleihungen aus den Jahren ’97 bis ’00, der Vertrag für das Tatort -Drehbuch, Backstage-Karten »access all areas« usw. Kurz gesagt, sie hatte mich beim Packen wahnsinnig gemacht, und ich hatte mich von ihr mit den berühmten Worten »Ich ruf’ dich dann die Tage an« verabschiedet, bevor sie mir beim Auspacken den allerletzten Nerv auch noch hätte ziehen können.
Jetzt waren aber schon zwei Monate in absoluter Funkstille vergangen, und das fiel selbst mir unangenehm auf. Ich bemühte mich also um einen heiteren Ton und tat so, als seien erst sieben Wochen vergangen.
»Hallo Rennschnecke, kann ich zur Runderneuerung vorbeikommen? … Samstag? Klar … Ja, ich hab einen Job, erzähl’ ich dir dann. Tschüss … Nee, Dunkelbraun oder Kastanie. Nix Brüllfarbenes. Die neue Dezenz. Auf der Fifth Avenue tragen sie noch nicht mal mehr bunte Taschentücher«, plapperte ich vor mich hin, bevor Wilma inquisitorische Fragen nach meinem Tun und Lassen in den letzten Wochen stellen konnte.
»Okay. Dann bis Samstag.«
Das war ja noch mal gut gegangen. Ich wagte gar nicht, mir auszumalen, wie Wilma auf meinen neuen Job reagieren würde. Das Einzige, was ich zum Thema »Wilma & der Tod« wusste, war, dass ich damals – wir waren acht oder zehn Jahre alt – ihren toten Hamster in den Schuhkarton legen musste, weil sie sich so dermaßen vor der kleinen pelzigen Leiche geekelt hatte, dass ich befürchten musste, sie würde draufkotzen. Dabei war sie schuld am Tod des Hamsters. Sie hatte ihn aus Versehen mit der Kinderzimmertür garottiert. Ich durfte für die Hamsterbestattung auch noch das Grab im Schrebergarten meiner Oma ausheben, während meine Cousine auf ihrem Fünfton-Kinderklavier irgendeine jämmerliche Melodie immer und immer wieder ableierte. Ich hatte die Drecksarbeit erledigt, Wilma dagegen war als Trauernde der Star der Veranstaltung. Sie hatte sich einen Fetzen schwarzen Tüll über den Kopf gehängt und brach am offenen Grab des Pelztieres gekonnt zusammen. Das hatte sie Elisabeth Flickenschild abgeguckt. Das indische Tuch war in jenen Tagen unser Lieblingsgruselfilm gewesen.
Tja, wie sag’ ich meiner besten Freundin, dass ich zurzeit einen ziemlich unpopulären Job mache? Vielleicht könnte ich sagen: »Ich mache in Holz« oder »Ich mache für eine Doku eine Recherche über Blumengestecke« oder so was in der Art. Ich hatte ja noch drei Tage Zeit, mir was Verschnörkeltes auszudenken und dem Flickenschildtschen Zusammenbruch entgegenzuwirken.
Gerade hatte ich den Hörer aufgelegt, da klingelte das Telefon wieder. Es war die Stimme, die vorhin so dringend um Abholung von Frau Becker gebeten hatte.
»Entschuldigung«, sagte die Stimme, »ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich … Na ja, also Entschuldigung, wegen vorhin.«
Noch immer war ein leises Schniefen zu vernehmen.
Übertrieben freundlich sagte ich: »Aber Sie müssen sich doch nicht entschuldigen. Sie waren bestimmt aufgeregt.«
»Ja, ja, das war ich wirklich. Ich habe mich so erschreckt. Ich war nur kurz für Frau Becker einkaufen, und als ich wiederkam, da saß sie tot im Sessel. Können Sie sich das vorstellen?«
Nein, und das wollte ich mir auch gar nicht vorstellen, wenn ich ehrlich war.
»Sie war noch warm.«
Toll, na, immerhin etwas. Ich musste jetzt was Sinnvolles sagen, etwas, das nicht nach einer Punchline in einer Comedy klang.
»Ja, schrecklich, nicht wahr? So plötzlich. Ist denn Herr Sommer schon bei Ihnen?«
Simpel, aber das half.
»Ja, ja, er ist schon wieder weg. Ich geh’ jetzt mal zu Frau Dorffmann. Die wartet schon auf ihr Abendessen.«
Ich atmete erleichtert auf: »Ja, machen Sie das. Frau Dorffmann braucht Sie jetzt wirklich. Frau, äh …«
»Schwester Beate. Noch mal danke, Frau Abendroth. Wissen Sie, Frau Dorffmann leidet unter altersbedingter Demenz. Wahrscheinlich erkennt sie mich wieder nicht. Ihre Tochter mag schon gar nicht mehr nach ihr sehen. Frau Becker hat mich immer erkannt. Na ja, ich will mal nicht länger stören. Auf Wiederhören.«
»Einen guten Abend noch, Schwester Beate.«
Auch eine Art und Weise, sein Geld zu verdienen: jeden Abend zu jemandem hinzugehen, der einen nicht erkennt. Jedenfalls geht einem nie der Gesprächsstoff aus. Könnte das das Geheimnis guter Beziehungen sein? Jedenfalls hätte ich mit ein bisschen Alzheimer Light das Elend meines letzten Jahres nicht mehr auf dem Schirm.
Meine Gedanken wurden durch die Ankunft von Sommer und
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