totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Matti unterbrochen. Ich hörte den schweren Leichenwagen von Mercedes Benz in den Hof hineinfahren. Die äußere Stahltür zum Lieferanteneingang wurde geöffnet und die Bahre mit der alten Frau Becker hineingerollt.
Ich wurde stinksauer, weil ich die Anweisungen von Sommer an Matti, was mit Frau Becker zu geschehen hätte, mithören konnte. Ich ärgerte mich nicht über den Inhalt, sondern darüber, dass ich es überhaupt hören konnte. Das hieß nämlich, dass der Kugelfisch vergessen hatte, die Stahltür zu schließen, als er vorhin weggefahren war. Ich hatte Angst vor Leichen, und wenn es draußen dunkel wurde und die Tür unten nicht geschlossen war, lief meine Fantasie eben Amok.
Sommer kam zu mir nach oben und legte mir diverse Papiere auf den Tisch.
»Frau Becker übernehme ich«, sagte er fröhlich.
Er öffnete den Safe und legte dann einen Aktenordner mit dem Namen Becker, der vermutlich die Verfügung enthielt, die Frau Becker zu ihren Lebzeiten unterschrieben hatte, auf seinen Schreibtisch.
Das mit den Verfügungen machen viele Leute, wenn sie keine Angehörigen mehr haben. Eine sehr vernünftige Angelegenheit, hatte Sommer mich einst belehrt. Wer sollte denn sonst entscheiden oder wissen, was man so wollte, wenn man es nicht mehr sagen konnte? Dabei hatte er mich erwartungsvoll angeschaut und gesagt: »Sie, Frau Abendroth, leben doch auch allein?«
»Ja, Herr Sommer«, hatte ich erwidert, »nur steht mir der Sinn momentan nicht nach Sterben.«
»Man weiß nie, wann der Tod kommt. Aber dass er kommt, ist eine Tatsache. Sie können es sich ja überlegen.«
»Ja, ja, der Tod und die Steuern.«
Jetzt war Sommer dran, mich verdattert anzuschauen.
»Sagt Brad Pitt in Rendezvous mit Joe Black. «
Er hatte es immer noch nicht verstanden
»Vergessen Sie’s. Wenn es bei mir soweit ist, Herr Sommer, kommen wir eh alle auf die Sondermülldeponie. Weil wir bis Oberkante/Unterlippe voll mit Schadstoffen sind. Da will uns geweihte Erde bestimmt nicht mehr.«
»Frau Abendroth, also bitte!« Dann hatte Sommer noch einen langen Pfeifton obendrauf gelegt, und sein Plan, mir einen Vorsorgeplan aufzuschwatzen, war gescheitert.
Mittlerweile übernahm Sommer organisatorisch nur noch die Fälle selbst, die wenig Arbeit machten. Die Feuerbestattungen, am besten anonyme, und Erdbestattungen in einem anonymen Gräberfeld. Keine Aufbahrung, keine ausgeklügelten Trauerfeiern. Bei den großen Angelegenheiten wickelte er salbungsvoll, devot und ertragreich die Trauergespräche mit den Hinterbliebenen ab. Je größer die Schuldgefühle der Hinterbliebenen, desto größer die Beerdigung.
Ich bekam dann eine Liste von ihm und organisierte alles selbst. Rücksprachen durfte ich bereits nach vier Wochen Einarbeitungszeit auch allesamt allein erledigen. Mir war schon ein bisschen bange, denn lange konnte es nicht mehr dauern, bis Sommer auf die Idee kommen könnte, die Trauergespräche ebenfalls mir zu überlassen.
Ich schaute auf die Uhr. Endlich 17.30 Uhr. Eigentlich wollte ich jetzt gehen, aber ich hatte die Organistin noch nicht erreicht. Und ohne Organistin morgen keine ordentliche Trauerfeier. Nur Musik vom Band. Das mochten die Leute nicht so gerne. Sommer ordnete pfeifend seine Unterlagen auf dem Tisch.
»Ich muss noch mal weg, Frau Abendroth. Haben Sie nicht jetzt auch Feierabend?«, unterbrach er sein Pfeifen.
»Ich muss mich noch um die Organistin für morgen kümmern. Ich kann sie erst um Viertel vor sechs wieder erreichen.«
»Na, dann. Bis morgen. Ich komme nachher noch mal zurück. Lassen Sie das Türgitter bitte oben.«
»Mach’ ich, Herr Sommer.«
Pfeifend nahm er seinen Mantel vom Haken und verließ das Büro. Kaum war er draußen, hörte ich Matti unten vor sich hin summen. Auch so eine Macke. Er summte nur, wenn Sommer nicht da war – und zwar getragene finnische Tangos. Die Finnen neigen offensichtlich zu Melancholie. Dieses Volk sollte sich vor allem eine schmissigere Lieblingsmusik aussuchen und in seinem Land öfter mal das Licht anmachen.
Die Uhr im Blick, stöberte ich in der einschlägigen Fachpresse. Der Bestatter – das offizielle Organ des Bundesverbandes Deutscher Bestatter – hatte immer irgendeine Skurrilität im Angebot, zum Beispiel die Rubrik »Der Sarg des Monats«, diesmal den Designersarg »Le Grand Bleu«. Wer brauchte da noch Modenschauen in Paris? Oder die Anzeige für »Das letzte Gesicht«: Ein Hersteller von Totenmasken bot seine Dienste an. Sehr fröhlich auch eine
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