totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
während ich auf ihrer Couch sitze.
Nach allem, was ich bisher wusste, konnte ich es drehen und wenden, wie ich wollte: Schwester Beate war einfach die beste Besetzung für die Rolle der Mörderin. Sie hatte Mittel und Gelegenheit. Sie hatte Schlüssel von allen Wohnungen, also Zutritt Tag und Nacht. Und, war sie wirklich immer gerade bei einer Besorgung gewesen? Das hatte natürlich noch niemand überprüft. Derrick hätte das als Erstes gemacht. »Wo waren Sie, als Sie den Schuss hörten? Aha! Haben Sie Zeugen dafür?«
Na ja, so ähnlich jedenfalls.
Musste ich etwa in den Stamm-Supermarkt von Frau Becker marschieren und fragen, ob Schwester Beate am Soundsovielten um soundsoviel Uhr eingekauft hatte? Keine gute Idee. Wie sollte sich nach Wochen noch jemand daran erinnern können?
Außerdem gab es ein noch weit schwerwiegenderes Problem zu beachten: das Motiv! Gier, Eifersucht, das ganze herzzerreißende Blahblah der sieben Todsünden. Aber keines der Opfer war in irgendeiner Form wohlhabend gewesen. Alle Adressen, die ich nachgeschlagen hatte, befanden sich in nicht zwingend materiell gesegneten Stadtteilen. Mittelschicht und darunter. Erikas Adresse war die einzige ungewöhnlich gute Adresse. Wenn Schwester Beate etwas von Wert hinterlassen worden war, würde man das doch mitkriegen. Es gab aber offensichtlich nichts zu stehlen oder zu erben. Gier fiel also aus, Eifersucht auch.
Auf was denn auch? Alles, was die alten Leutchen hatten, war ihre Sterbeversicherung, und die ging an Bartholomae, Schwester Beates Chef. In diesem Fall war die Sterbeversicherung ein makabres Omen. Ich sollte mir was überlegen, sonst würde Schwester Beate denken, ich sei plemplem.
Allerdings musste ich den weiteren Denkprozess auf später verschieben, weil der Kugelfisch im Anflug war. Er kam vom Trauergespräch mit Kostnitz zurück. Kostnitz hatte morgens angerufen und gebeten, Sommer möge ihn zu Hause aufsuchen. Entweder er wollte sich nicht von seinen Cognacvorräten trennen, oder er war wirklich schwer krank.
Sommer legte seine Ledermappe auf seinen Schreibtisch und wieselte unverzüglich, was ganz untypisch für ihn war, nach unten. Ich hörte, wie er die Stahltür schloss und konnte nicht widerstehen. Ich öffnete die Mappe und blätterte. Kostnitz hatte eine Feier vom Feinsten bestellt. Ich würde mit Freuden das Budget der Sterbeversicherung ausschöpfen. Da musste die Bochumer Suppenküche jetzt leider mal zurückstecken. Sorgfältig schloss ich die Mappe wieder. Keine Sekunde zu früh. Sommer kam wieder die Treppe herauf.
»Haben Sie eigentlich einen neuen Organisten gefunden?«
»Noch nicht, aber ich habe Termine gemacht. Die Musikschule hat mir fünf Leute vom Orgelkreis versprochen.«
»Gut, gut. Sie werden schon jemanden finden. Aber keine Rock’n’Roller, wenn ich bitten darf.«
»Toccata und Fuge von Bach ist Rock’n’Roll.«
»Haha, Sie und Ihre Witze, Frau Abendroth.«
Mit diesen Worten strebte er dem Ausgang zu.
»Wann sind Sie wieder zurück?«
»Morgen, wenn’s recht ist. Ich habe eine Menge für Frau Kostnitz’ Beerdigung zu erledigen. Der Witwer will einen schwarz lackierten, italienischen Sarg, mit einem Engel auf dem Deckel«, schnaubte er, »Kuckelkorn in Köln hat so einen, aber den muss ich jetzt selbst abholen.«
Noch einmal blies er pfeifend Luft aus. »Möchte wissen, wie der auf diese Ideen gekommen ist!«, meckerte Sommer weiter.
Also hatte Kostnitz ihm nicht gesagt, dass ich diejenige welche war. Ich tat so, als hätte ich die Frage nicht gehört und kritzelte auf meinem Notizblock herum. Sommer war schon halb aus der Tür, kam aber noch mal zurück.
»Frau Abendroth, wenn Sie es sich zutrauen, suchen Sie doch den Blumenschmuck aus, irgendwas zu den Engeln und so. Sie haben sie ja gekannt.«
Ich habe sie gekannt? »Sommer, sie hat seit Jahren für Sie gespielt, Sie Depp!«, wollte ich ihm am liebsten an den Kopf werfen. Stattdessen sagte ich: »Gerne. Und die Druckerei?«
»Das mache ich. Zeitungsanzeigen auch. Kümmern Sie sich um die Blumenarrangements, die Kerzen und das Kondolenzbuch.«
»Und die Musik?« Meine Frage verhallte ungehört im Raum. Sommer war schon durch die Tür.
Tja, Herr Kostnitz, das war zwar alles etwas spät, aber immerhin. Über diese Wendung war ich ehrlich froh. Erika hatte die Orgie verdient. Ich rief Matti über das Haustelefon an, um ihm zu sagen, dass ich mal zum Blumenhändler rübergehen würde, um die Blumen für Frau Kostnitz persönlich
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