totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Kreuz geleiert hatte, gemeinsam mit Dr. Thoma Wurstbrot kauend auf dem Bett verbringen und bei jedem noch so blöden Weihnachtsfilm flennen. Dann könnte ich mir noch ein bisschen schreckliche Heulmusik von George Michael anhören und mich in den Schlaf wimmern, während Dr. Thoma auf den Boden kotzen würde, weil er die Leberpastete von Aldi genauso wenig vertragen hatte wie ich.
Ich aber würde nicht kotzen, sondern am nächsten Morgen mit fiesem Geschmack im Mund aufwachen und merken, dass ich vergessen hatte, meine Mutter und meinen Vater anzurufen. Und während ich mich dann vermutlich wie blöde in Selbstmitleid und Selbstvorwürfen rumwälzen dürfte, würde ich nach spätestens einer Stunde feststellen, dass sie mich auch nicht angerufen hatten.
Wie ich so über mein vielversprechendes Weihnachtsfest nachdachte, verschwamm die Welt da draußen, was daran lag, dass ich mich schon jetzt langsam in Tränen auflöste. Ich erschrak, schließlich saß ich in einem öffentlichen Lokal, vor allem in einem, in dem man mich kannte. Vor den neugierigen Augen von Kai-Uwe Hasselbrink erlag ich soeben meinen Gefühlen.
In den Krimis von Agatha Christie zuckten alle immer nur bedeutungsschwanger mit irgendwelchen Gesichtsmuskeln rum; mir entgleisten immer alle Gesichtszüge komplett.
Mein melancholischer Anfall wurde jäh unterbrochen, als zwei Schneemänner in die Lokalität gewankt kamen, die ich eindeutig als Blaschke und Kostnitz identifizieren konnte. Gott sei Dank sahen mich die beiden nicht. Denn was ich jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte, war ein Gespräch mit den »Zwillingen Besserweiß«.
Sie strebten, Kostnitz schwer gestützt auf Blaschke, auf einen freien Tisch in der hintersten Ecke zu, wo sie sich mit dem Rücken zu mir hinsetzten. Blaschke half Kostnitz aus dem Mantel und rückte ihm den Stuhl zurecht. Das gab mir den Rest. Noch eine Sekunde und man könnte mich einliefern lassen – ins Heulsusenhaus für abgelegte Geliebte.
Da Kai-Uwe sich um die beiden kümmerte, ohne mich eines Blickes zu würdigen, ließ ich großzügig einen Fünfer auf dem Tisch liegen und schlich mich hinaus ins Schneegestöber.
Blaschke würde am Heiligabend hoffentlich Kostnitz zu sich nach Hause einladen zu seiner sauberen, properen Frau und zu einem sauberen, properen Weihnachtsbraten. Dann würde das Ehepaar Blaschke höflich lächelnd und voller Verständnis dabei zusehen, wie der alte Kostnitz sich am teuersten Digestif betrank. Dann würden sie ihn ganz lieb auf der Couch im Wohnzimmer zudecken und zum Weihnachtsfick in ihr proper eingerichtetes Designer-Schlafzimmer gehen, wo ein Ton in Ton bezogenes Bett italienischer Provenienz im neureichen, mediterranen Stil ihrer harrte. Selig lächelnd würden sie in die Laken aus makellosem Makosatin sinken, weil sie beide heute so gute Menschen gewesen waren, und das am Weihnachtsabend.
Margret, und wenn schon!, schimpfte ich mit mir selbst. Hör endlich auf damit, sonst platzt dir noch der Kopf, und raus kommt nichts als ekliger, schwarzer Glibber.
Zum Zwecke des Aggressionsabbaus verdonnerte ich mich dazu, die gesamte Strecke bis zu Pietät Sommer zu Fuß zurückzulegen. Aber ich hatte erst zwei von fünf Haltestellen geschafft, als ich bereits völlig außer Atem war und fand, dass ich genug abgearbeitet hatte. Ich bestieg die U-Bahn in Richtung Universität, ohne mit irgendwelchen Gesichtsmuskeln bedeutungsschwanger zu zucken.
Bei Pietät Sommer saßen fünf Menschen stumm im Besprechungsraum um den Tisch herum und starrten mich an. Wer waren die denn? Hinterbliebene einer Massenkarambolage auf der A40?
Herr Matti kam gerade die Treppe hoch und flüsterte mir ins Ohr: »Die Damen und Herren Organisten.«
Oh! Natürlich, hatte ich komplett vergessen. Ein rascher Blick auf die Uhr sagte mir, dass diese Menschen bereits seit einer geschlagenen Stunde hier einsaßen, um mich zu treffen. Hoffentlich hatte Sommer nichts gemerkt. Ich flüsterte Matti zu: »Sommer?«
»Noch gar nicht hier gewesen.«
Puh! Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Entschuldigen Sie bitte, ich bin aufgehalten worden. Ein Sterbefall und dann der viele Schnee, Sie wissen ja«, brachte ich kurz und knapp, ohne rot zu werden, zu meiner Verteidigung vor. Mein Selbstwertgefühl starb schließlich jeden Tag ein bisschen mehr, und schneien tat’s auch.
Um mich ein bisschen wichtig zu machen, setzte ich mich hinter meinen Schreibtisch und blätterte in einer Mappe herum. Übermorgen war der
Weitere Kostenlose Bücher