totgequatscht: Maggie Abendroth und der Teppich des Todes (German Edition)
Callcenter gekriegt. Und ich habe eine Wohnung gemietet. Also, eigentlich war es andersrum – erst die Wohnung, dann die Kündigung. Verstehen Sie? Brauchen Sie jemanden? Eventuell? Ich schiebe auch Telefondienst, wenn Sie mit Mia zu Wilmas Hochzeit fahren. Ich meine, da wird ja noch was zu tun sein, und ... ich halte einfach die Stellung und ... gebe an Ihre Vertretung weiter ... also ... Sie wissen schon. Bis Sie wieder da sind. Und ich kümmere mich um Rudis Problem ... also, ich meine der Herzig kümmert sich ja darum ... aber der will ja auch zur Hochzeit ... und ...« Meine Güte, war das schwer. Ich spürte Mattis Arm auf meiner Schulter, und mein Körper sog seine Wärme regelrecht auf – aber je wärmer mir wurde, desto schlimmer wurde es. Ich wäre am liebsten unter sein Hemd gekrochen. Vielleicht könnte ich mich dort in Sicherheit bringen.
Matti ließ mich los. Ich erschrak. Hatte ich irgendwas gesagt, was ich nicht hatte sagen wollen? Waren meine Gedanken zu laut gewesen? Er stand auf, schritt langsam die Reihen der Särge ab und summte einen finnischen Tango.
»Was sagen Sie zu dem Vorschlag?«, sagte ich und hätte am liebsten gerufen: »Und jetzt setzen Sie sich gefälligst wieder hin und drücken mich noch mal!«
Aber Matti nahm noch ein Gummibärchen aus der Urne und ging hinaus. Ich blieb in Ermangelung tauglicher Ideen auf dem Sarg sitzen und zündete mir eine Zigarette an. Da hatte ich mir ja wieder was eingebrockt. Ich schaute mich um und erinnerte mich, wie es hier vorher ausgesehen hatte, als das Bestattungsinstitut noch einem gewissen Herrn Sommer gehört und für den ich die Sekretärin gegeben hatte. Und mit dieser Erinnerung fielen mir prompt die letzten Jahre auf den Kopf und rammten meinen Hals zwischen die Schultern. In meinem Inneren machte sich das aufgestaute Brackwasser unverdauter Erlebnisse bemerkbar, das ausgerechnet jetzt hinaus wollte. Ich schluckte, doch meine innere Stimme sagte schlimme, aber wahre Dinge zu mir, an denen ich nicht vorbeihören konnte. Und ewig grüßt das Murmeltier. Da sind wir also wieder, sagte sie ohne Gnade. Statt ein Drehbuch zu schreiben und in der Weltgeschichte rumzugondeln, sind wir einmal im Kreis gelaufen. Dafür haben wir wie lange gebraucht? Vier Jahre? Um genau wo zu landen? Auf einem Sarg?
Ich holte tief Luft und gab patzig zurück: Es hätte auch schlimmer kommen können:
in
einem Sarg!
Im selben Moment kam Matti mit einer großen Plastikbox zurück, die er vor mir abstellte. »Willkommen«, sagte er und öffnete den Deckel.
Ich schaute in die Kiste. Dort lagen: ein Handy, ein dunkelgrauer Damenhut mit dezentem schwarzen Hutband auf dem
Bestattungen Abendroth
stand, dazu Handschuhe und eine schwarze wattierte Winterjacke mit Mattis Firmenlogo und eine Strickmütze mit Ohrenklappen.
»Mia trägt im Büro keinen Anzug so wie Rudi und ich. Das sollten Sie auch so machen – diese Sachen sind für den Fall, dass Sie mal mit rausmüssen.«
Ich sprang vom Sarg und zog die Jacke an – sie passte perfekt.
»Die Sachen warten schon etwas länger auf Sie.«
»Danke«, sagte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. »Sie sind ein hoffnungsloser Fall, Herr Matti.«
Er setzte mir die Mütze auf und sagte: »Sie aber auch, Frau Margret.« Und dann lachte er so laut, dass er einen Toten hätte aufwecken können.
Er lachte noch, als er die Kiste verschloss, meine Hand nahm und mich zum Ausgang brachte. »Wenn es Ihnen recht ist, kommen Sie morgen um zwölf, dann ist Mia noch da, und Sie kann Ihnen alles zeigen, damit Sie sich in den nächsten Tagen zurechtfinden. Es hat sich mittlerweile einiges geändert. Und Sie müssen auch keine Angst haben – im Augenblick sind keine Leichen in den Kühlfächern.«
Bevor ich mich bedanken konnte, stand ich unvermittelt auf der Anlieferungsrampe im Hof. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Wie betäubt stopfte ich den Bärchenmantel in meine Umhängetasche und lief über den Hof bis zur Straße, unfähig zu begreifen, was soeben passiert war. Matti hatte laut gelacht.
An der Straßenecke blieb ich stehen und sah mich um. Über dem Eingang leuchtete das Firmenschild:
Bestattungen Abendroth
. Die Tür öffnete sich, Matti kam heraus und schlidderte, fröhlich mit den Armen rudernd, zur anderen Straßenseite auf seine Haustür zu.
Ohne mein Bewusstsein mit einzubeziehen - das war irgendwo zwischen Mattis Lachen und seinem Tänzchen auf der Straße und der erschreckenden Erkenntnis stecken
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