Totgesagt
stehen. “Ich rufe die Polizei!”
“Tun Sie sich keinen Zwang an”, sagte er. “Da können Sie denen gleich sagen, sie sollen sich Harper schnappen. Und zwar schleunigst.”
Schlagartig war der schrille Ton weg. “Wieso? Was hat er denn verbrochen?”
“Melden Sie einfach, ich hätte gesagt, er wäre der gesuchte Täter!”
Er warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu, bemerkte jedoch, dass sie mit großen Augen ihre Kaugummiblase platzen ließ. “Der den Reverend umgelegt hat?”
“Der in das Haus von Madeline Barker eingebrochen ist!”, korrigierte er ungeduldig.
“Ach ja, habe davon gehört.”
Er wies auf das Telefon. “Na los!”
Sie trat ein und wählte, während er zunächst Küche und Wohnbereich untersuchte und sich dann die Nasszelle vornahm, wo er zuerst auf Blutspuren auf dem Waschtisch stieß, dann im Mülleimer auf weggeworfenes Verbandszeug. Im Schlafraum stand ein Fläschchen mit Potenzmitteln auf dem Nachttisch; unter dem Bett, offenbar hastig dorthin gestopft, lagen etliche Sexutensilien. Auf einem Schränkchen stand ein Foto, das Madeline als kleines Mädchen zeigte. Vermutlich stammte das Bild, genau wie die Predigten, aus den gestohlenen Kartons. Wie sie da mit ihren Zahnlücken in die Kamera strahlte, fühlte er etwas in sich aufsteigen, gegen das er sich lange gewehrt hatte: Zärtlichkeit und Fürsorge …
“Die Polizei will Sie sprechen”, rief die Nachbarin von der Eingangstür her.
“Bestellen Sie denen, ich melde mich übers Handy zurück.” Momentan gab es Dringenderes zu tun; er musste Harpers Computer hochfahren, seine Dateien und E-Mails durchforsten. Angesichts des Bildes, das ihm sodann beim Öffnen des Ordners “Aktuelles” regelrecht entgegensprang, hielt die Nachbarin erstickt den Atem an. Hunter wurde es schlagartig übel.
Es zeigte Madelines Kopf, eingescannt von dem Foto, das Hunter gerade vom Schränkchen genommen hatte. Per Fotomontage war der Mädchenkopf einem unbekannten Frauenkörper aufgesetzt worden, der gerade von drei Männern geschändet wurde. Unter dem Bild stand die Zeile: “Lasst sie um Gnade winseln”.
Ray ließ den Spaten fallen und zerrte die bewusstlose Madeline ans hintere Ende der Veranda. Er musste sich beeilen; Clay konnte jeden Moment aufkreuzen. Falls der den Reverend auf dem Gewissen hatte, wie es ja alle Welt glaubte, konnte er eigentlich ebenso wenig wie Ray ein Interesse daran haben, dass Madeline in der Vergangenheit herumwühlte. Nur war Clay unberechenbar, wenn nicht sogar gefährlich, da biss die Maus keinen Faden ab.
“Die werden dich suchen, klar”, murmelte er laut über das Kratzen hinweg, das Madelines Schuhe auf den Holzplanken hervorriefen. “Aber finden werden sie nicht die Spur.” Ächzend wuchtete er sich die Ohnmächtige auf die Schulter. “Lange suchen die sowieso nicht. Dieser Stinkstiefel von deinem Bruder, ja, der spielt zwar den großen Beschützer, aber mach dir nichts vor … Du bist ja nicht mal seine richtige Schwester. Und ehrlich gesagt – ohne dich wäre sein Leben ein ganzes Stück einfacher.”
Mit dem eigens von zu Hause mitgebrachten Strick fesselte er Madeline an Händen und Füßen, knebelte sie mit einem zusammengeknüllten Halstuch und zurrte sie hinten auf der Ladefläche des Kleinlasters fest. Auf diese Weise hatte sie keine Bewegungsfreiheit und konnte nicht hoch, selbst wenn sie aufwachte. Am Ende verhüllte er die Liegende noch mit einer alten Decke.
Das reicht für den Anfang.
Nach einem letzten nervösen Rundblick klemmte er sich hinters Lenkrad und ließ den Pick-up in aller Ruhe vom Hof rollen, ganz ungerührt und nonchalant, als hätte er gerade einen Höflichkeitsbesuch abgestattet. Nach einigen Meilen, mitten im offenen Gelände, fuhr er jedoch rechts ran und nahm sich die Zeit, seine Ladung mit einer Plane abzudecken. Vor ihnen lag eine lange Fahrt, und es war kalt. In den Hügeln von Tennessee waren die Temperaturen vermutlich noch niedriger; da wollte er lieber vorbeugen, damit sie ihm nicht vor Erreichen der angemieteten Berghütte noch erfror.
Aus der Tasche zog er das Geld, das er Bubba abgenommen hatte, und zählte es noch einmal durch. Jawohl, für Proviant für mindestens eine Woche reichte es dicke.
Er konnte es kaum erwarten, bis der Spaß endlich losging. Vermutlich wurde es noch spannender als jene Nachmittage und die mitternächtlichen Spielchen mit dem Reverend, Katie und Rose Lee. Seinerzeit, da gab’s ja noch kein Viagra!
Vielleicht konnte er ja
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