Totgesagt
anderen hatte er beide Mädchen einzeln oder zusammen fotografiert – immer in eindeutigen Posen. Die Bilder machten Hunter dermaßen rasend, dass er fast Verständnis dafür aufbrachte, dass Clay und Irene diesem Schwein schließlich in die Parade gefahren waren. Leider konnte er Clay nicht einmal fragen, was passiert war, denn auf einmal wollte er sich die Einzelheiten gar nicht mehr antun, ganz zu schweigen von der schweren Last, die auf ihn wartete, wenn er Madeline die Wahrheit sagen musste. Außerdem tat er sich schwer mit der Entscheidung, ob er mit dieser ganzen schmutzigen Geschichte zur Polizei gehen sollte oder nicht.
“Kennen Sie Harper schon seit Ihrem Umzug hierher?” Er dachte lieber nicht darüber nach, wo das alles einmal enden mochte – Maddy womöglich schwer verletzt oder gar tot, die Montgomerys hinter Gittern. Niemand hatte Clay gezwungen, die Fotos auf den Tisch zu legen. Mit ihrer Enthüllung setzte er alles aufs Spiel, was er bisher so sehr zu verbergen versucht hatte. Madeline zuliebe hatte er es bedenkenlos getan. Ohne die Aufnahmen hätte Hunter nie und nimmer Harpers Behausung aufgesucht, weder die Katze noch Barkers Predigten entdeckt und auch nicht gewusst, wo er nach etwaigen Hinweisen auf Madelines Verbleib suchen musste. Madeline wäre einfach spurlos verschwunden; kein Mensch hätte gewusst, wo man überhaupt hätte anfangen sollen.
Nach Hunters Auffassung war Clay damit mehr als rehabilitiert. Er hatte sich für seine Stiefschwester geopfert. Allerdings gab es einige, die vermutlich nicht so großzügig mit der Vergangenheit umgingen …
“Kennen schon, aber anscheinend nicht gut genug”, brummte Clay. “Sonst …”
Sonst? Er ließ den Satz unvollendet; Hunter sollte sich offenbar selbst einen Reim darauf machen. Sonst hätte er besser auf Madeline achtgegeben? Sonst hätte er Harper längst unschädlich gemacht?
Da saß er nun, direkt neben einem mutmaßlichen Mordkomplizen – und dennoch war Clay für ihn einer der anständigsten Menschen, die ihm je über den Weg gelaufen waren.
Es war geradezu paradox. Allerdings blieb ihm nun keine Zeit mehr, über solche Feinheiten zu grübeln. Er musste sich konzentrieren, ungeachtet der Angst, ungeachtet der Fülle von Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten. Die Fotografie, die er gerade durch die Lupe betrachtete, zeigte den Rand eines eingebauten Fensterventilators. Vermutlich stammte die Aufnahme aus dem Farmbüro. Madeline hatte ja eine Lüftungsanlage erwähnt, die dort einmal benutzt worden sei. Seit seinem Besuch in ebendiesem Zimmer konnte Hunter sich den Schauplatz lebhaft vorstellen. Das war aber auch alles. Ansonsten war nichts zu erkennen, das ihm weitergeholfen hätte.
Er nahm sich das nächste Foto vor. “Was ist Harper denn so für ‘n Typ?”, fragte er gedankenverloren.
Clay überholte gerade und scherte zwischen zwei Fahrzeugen wieder ein. “Eigentlich ein ganz unscheinbarer”, erklärte er. “Ging immer seine eigenen Wege. Dachte ich jedenfalls. Er tat mir leid wegen seiner Tochter.” Clay schüttelte den Kopf, als mache er sich Vorwürfe, dass er die Anzeichen nicht früher erkannt hatte. Dabei hatten auch andere die nicht wahrgenommen. “Für gemeingefährlich hätte ich den nie gehalten.”
“Da sind Sie wohl nicht der Einzige.” Hunter zog noch eine Aufnahme hervor, diese wieder an einem anderen Ort geknipst. Im Hintergrund war die Ecke eines Schreibtisches zu sehen. “Wo ist das hier?”
Er reichte sie Clay, der beim Fahren kurz einen Blick darauf warf. “In der Kirche.”
“Meine Güte”, entfuhr es Hunter. “Ist ja widerwärtig! Der Gipfel der Heuchelei!”
“Stimmt”, bestätigte Clay schlicht.
Hunter hatte sich inzwischen das dritte Bild vorgenommen. Auch dieses schien in der Kirche aufgenommen worden zu sein. Man sah denselben Schreibtisch, doch auf dieser Aufnahme vollführte Katie sexuelle Handlungen an Rose Lee, wohingegen Barker auf der Aufnahme nirgendwo auftauchte. Fast hätte Hunter es schon beiseitegelegt, da fiel ihm etwas ganz am Rande auf, das ihn stutzig machte.
“Dieses Schwein”, murmelte er.
“Wer?”, fragte Clay.
Fassungslos schüttelte Hunter den Kopf. “Ihr Stiefvater war nicht allein, als er die Mädchen quälte.” Er blickte hinüber zu Clay, der jedoch den Blick nicht erwiderte. Seine einzige Reaktion war ein Zucken in der Wange.
“Was soll das heißen?”
“Man sieht ein Stückchen von ihm. Ganz am
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