Totgesagt
Tochterersatz! Barker war schuld, dass Rose Lee versucht hatte, Eliza diese Nachricht zuzustecken. Nichts, rein gar nichts wäre passiert, hätte Barker nicht darauf bestanden, dass er sonntags seine Rose Lee mit zum Gottesdienst brachte. Anderenfalls hätte sie den Zettel nicht weitergegeben, und Ray hätte sie nicht mit dem Hosengürtel züchtigen müssen. Dann hätte sie hinterher bestimmt auch keine Überdosis genommen.
“Madeline?”, rief er leise.
Keine Antwort. Weit konnte sie nicht gekommen sein. Es lag kein Strick auf dem Boden, kein Knebel. Außerdem hatte er sie ja unter Medikamente gesetzt. Durchaus möglich, dass sie im Schnee herumstolperte, zwischen den Bäumen herumirrte, vielleicht sogar im Kreis lief.
Aber als er eben ankam, war doch der Sicherheitsriegel noch eingeschnappt! Wie hätte sie da rauskommen sollen?
Auf ein gedämpftes Geräusch hin stürzte er in den Gang, ängstlich und erleichtert zugleich, dachte er doch, er hätte sie endlich gefunden. Aber es waren bloß die Jalousien, die sich sanft im Wind bewegten. Wind? Ein Fenster stand offen! Und darunter stand ein Stuhl!
Sie hatte es demnach nach draußen geschafft! Mist! Er kochte vor Wut. Er musste sie finden, bevor sie von anderen gefunden werden konnte.
Und falls er sie kriegen sollte …
dann gnade dir Gott!
Madelines Herz schlug so laut, dass sie kaum hören konnte, wie Ray in der Hütte herumfuhrwerkte. Wie erwartet war er gleich in das Zimmer gestürzt, in dem er sie eingeschlossen hatte, anschließend über den Flur zu dem Fenster, das sie geöffnet hatte, indem sie den Riegel mit Zähnen und Kinn bearbeitete. Falls sie Glück hatte, würde Ray gleich wieder nach draußen rennen und sie im Wald suchen. Denn wenn er zuerst genauer in der Blockhütte nachguckte, war sie verloren. Als er in den Korridor zurückkam, war sie bloß knapp einen Meter von ihm entfernt – versteckt hinter der Tür zum letzten Zimmer. Für ein besseres Versteck hatte die Zeit nicht gereicht. Es hatte schon Mühe genug gekostet, das verfluchte Fenster aufzukriegen!
Sie konnte hören, wie er vor sich hin brabbelte. “Das wird sie mir büßen”, schimpfte er vernehmlich, ehe er hinausging und den Motor abstellte.
An sich hatte sie gehofft, er werde es viel zu eilig haben, um groß an seinen Pick-up zu denken. Wäre er erst hintenherum gegangen, hätte sie möglicherweise vorn hinausschleichen und mit dem Wagen flüchten können – selbst mit gebundenen Händen und Füßen. Das Motorengeräusch hatte ihre Hoffnungen beflügelt und außerdem ihre Bewegungsgeräusche überlagert. Sie hatte schließlich das Fenster aufbekommen – da würde sie es gewiss auch schaffen, den Schalthebel und das Lenkrad zu bedienen, wenigstens so, dass es für ein, zwei Meilen reichte – irgendwohin, wo sie Hilfe auftreiben konnte. Genau deswegen hatte sie das Fenster ja hinten aufgemacht: um ihn von der Vorderseite der Hütte fortzulocken.
Nur war er leider zu gerissen, zu vorsichtig. Nicht ausgeschlossen, dass er auf der Schwelle darauf lauerte, bis sie sich hervorwagte. Und wenn Schnee lag, was dann? Wenn draußen unter dem offenen Fenster keine Spuren waren, merkte er doch sofort, dass sie ihn hereinlegen wollte!
Das wird sie mir büßen …
Wartete er etwa auf ihren nächsten Zug? Glaubte er, sie würde sich verraten?
Lieber Gott, hilf!
Sie zitterte dermaßen, dass sie allmählich fürchtete, völlig zusammenzubrechen. Die Beine knickten schon unter ihr ein, doch immerhin konnte sie sich gegen die Wand stützen; jetzt zusammenklappen, das kam nicht infrage. Falls sie schlappmachte, war es aus. Möglicherweise wollte sie das sogar.
Ein Rascheln draußen ließ sie aufhorchen. Kam er jetzt doch um das Blockhaus herum und schaute nach? Was er da finden mochte, wusste der Geier. Entweder etwas, das ihn draußen hielt, oder aber etwas, das ihn veranlasste, wieder ins Blockhaus zu kommen. Egal, sie jedenfalls musste nun alles auf eine Karte setzen. Eine zweite Chance würde sich ihr vermutlich nicht bieten.
Sie ließ sich zu Boden gleiten und robbte über den Korridor in die Küche. Immerhin war sie jetzt gedanklich wacher; die Wirkung des Medikaments ebbte ab. Allerdings meldeten sich bei vollem Bewusstsein nun die Schmerzen und blauen Flecken, die ihr andererseits auch Hoffnung verliehen, sie könne Ray vielleicht doch überlisten.
An der Haustür angekommen, stellte sie fest, dass sie diese gar nicht aufzumachen brauchte. Sie stand sperrangelweit offen. In der
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