Totgesagt
beliebt.”
“Wo und wann wurde er zuletzt gesehen?”
Ein greller Blitz ließ das Metallic-Silber der regennassen Motorhaube hell aufleuchten. Für einen Moment waren die Konturen von Madelines klassischem Profil im Widerschein deutlich erkennbar. “Am vierten Oktober ist es zwanzig Jahre her. Er war auf dem Weg zur Kirche, zu einem Termin mit einigen Frauen, die eine Jugendinitiative auf die Beine stellen wollten. Von da an wurde er nie mehr gesehen.”
Was für emotionale Folgen ihr Leidensweg hinterlassen haben musste, war ein Gedanke, den er nicht an sich heranließ. Distanz – das hatte bei ihm oberste Priorität. Die Aufklärung des Falles kam gleich an zweiter Stelle. “Diese besagten Frauen – wurden die überprüft?” Vermutlich eine dumme Frage, aber er musste ja ganz von vorn anfangen. Methodisches Vorgehen sorgte dafür, dass er das Wichtigste im Blick behielt: die Fakten.
“Natürlich wurden sie das. Nora Young und Rachel Cook hätten keiner Fliege etwas zuleide tun können, und meinem Vater schon gar nicht. Die beiden schwärmten förmlich für ihn. Erinnern Sie sich noch an Miss Mamie und Miss Emily, die Nachbarinnen der TV-Familie ‘Die Waltons ‘? Dann haben sie eine ungefähre Vorstellung von den Damen.”
“Am Telefon erwähnten sie eine Stiefmutter. Wo befand sich denn Ihre leibliche Mutter zum fraglichen Zeitpunkt?” Beim Verschwinden eines Ehepartners steckte häufig der andere oder ehemalige dahinter. Bevor Hunter also die Stiefmutter unter die Lupe nahm, musste er zuerst einmal die erste Mrs. Baker ausschließen können.
Das war allerdings leichter als gedacht.
“Meine Mutter war zum fraglichen Zeitpunkt tot”, sagte Madeline.
Er musterte sie aufmerksam, als wolle er ihre Reaktion beurteilen. “Das tut mir leid.”
Sie gab keine Antwort.
“Was ist passiert?”
“Sie hat sich erschossen. Mit der Waffe meines Vaters.”
“Wann?”
“Ich war zehn Jahr alt.”
Er zuckte unwillkürlich zusammen und sah sie erschrocken an. “Wer hat sie gefunden?”
Madelines Finger krampften sich so heftig ums Lenkrad, dass die Knöchel weiß hervortraten. “Ich.”
Shit …
Es verschlug ihm die Sprache. Sie hatte mehr durchmachen müssen, als er annehmen konnte.
Doch so traurig ihre Geschichte auch sein mochte – er durfte sich ihren Kummer nicht zu eigen machen. Er war nicht als ihr Retter angetreten. Sie war lediglich eine Auftraggeberin. Eine schöne, zugegeben, aber eben nur eine Klientin.
“Ich kam gerade aus der Schule und wollte ihr mein Zeugnis zeigen”, fuhr sie mit monotoner Stimme fort. “Mein Vater schickte mich zu ihr; sie hatte sich etwas hingelegt. Und …” – Jetzt stockte ihr die Stimme – “… dann lag sie da …”
Abstand halten, Junge!
“Ihr Vater hatte den Schuss nicht gehört?”, fragte er sanft. Möglich, dass die Frage unsensibel war, aber er musste so viel wie möglich über Madeline Barker und ihre Vergangenheit erfahren. Nur so ließ sich der Mord an ihrem Vater am schnellsten aufklären, was er so rasch wie möglich hinter sich bringen wollte – ehe zu viele Dinge passierten, die ihm Madeline noch sympathisch werden ließen. Abgesehen von ihrem Äußeren, natürlich.
“Nein. Sie hat sich erschossen, als er draußen auf der Farm arbeitete. Er sah, wie ich aus dem Bus stieg, und kam dann ebenfalls nach Hause.”
“Als Ihr Vater verschwand – wie viel Zeit war da seit dem Tod Ihrer Mutter vergangen?”, fragte er.
“Sechs Jahre. Drei davon sind wir allein zurechtgekommen. Dann lernte mein Vater eine Frau namens Irene Montgomery kennen.”
“Die Sie zuvor nicht kannten?”
Der Regen prasselte immer heftiger, doch Madeline nahm den Fuß nicht vom Gas. “Nein. Sie trafen sich bei einer Tanzveranstaltung für Singles. Sie stammte aus Booneville, was nicht allzu weit von Stillwater entfernt liegt. Er war dreiundvierzig, sie erst zweiunddreißig. Sie brauchte wohl einen Mann in ihrem Leben, der älter war als sie.”
Vielleicht benötigte sie noch ganz andere Dinge? Dinge, die sie vor ihm verbergen musste? “Wieso einen älteren?”, hakte er nach.
“Sie hatte mit sechzehn die Schule abgebrochen – schwanger. Sie heiratete den Kindesvater und bekam noch zwei Kinder von ihm, ehe er sich aus dem Staub machte. Viele Möglichkeiten blieben ihr da nicht. Sie hat nach einem Halt gesucht.”
“Und den konnte Ihr Vater ihr bieten.”
Sie stellte das Wischerintervall auf höchste Stufe, sodass die Scheibenwischer wie verrückt über
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