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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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die Scheibe ruderten. Vermutlich, so nahm er an, synchron zu ihrem Puls. Äußerlich hingegen war sie die Ruhe selbst. “Sie sagen es. Er hatte ja einiges vorzuweisen: die Farm, die jetzt von meinem Stiefbruder geführt wird, einen krisensicheren Job, bescheidene Ersparnisse. Und in der Gemeinde war er hoch angesehen.”
    Hunter beugte sich vor und spähte um den seidigen Vorhang, den ihr Haar um ihr Gesicht bildete. “Sagten Sie nicht, Ihre Stiefmutter hätte die Farm geerbt?” Das hatte er sich beim ersten Telefongespräch gleich gemerkt, denn die Farm konnte man durchaus als Mordmotiv für die Stiefmutter betrachten.
    “Hat sie ja auch. Aber als Molly, meine jüngste Schwester, mit der Schule fertig war, da zog meine Stiefmutter in die Stadt. Folglich übernahm mein Bruder die Farm.”
    “Und? Ist das ein schönes Anwesen?”
    Sie warf ihm einen Blick zu. Offenbar war ihr der argwöhnische Unterton nicht entgangen. “Nur keine vorschnellen Schlüsse!”
    “Was für Schlüsse? Die Frage liegt doch auf der Hand!”
    “Ich hab’s Ihnen doch schon am Telefon gesagt: Meine Stiefmutter ist es nicht gewesen.”
    “Waren sie zusammen, als Ihr Vater verschwand?”
    Ihr Gesicht nahm einen gehetzten Ausdruck an. “Nein, ich war an dem Abend nicht zu Hause. Ich war bei einer Freundin.”
    “Wer war sonst noch zu Hause?”
    “Grace und Molly und später dann Clay. Meine Mutter zeitweise auch, aber sie hätte auf keinen Fall den Ernährer ihrer Kinder umgebracht. Nach dem Verschwinden meines Vaters hatten wir nicht mal genug zu essen. Wäre mein Stiefbruder nicht gewesen – wir wären glatt am Bettelstab geendet. Oder man hätte uns getrennt und in Pflegefamilien untergebracht.”
    “Was hat Clay dagegen unternommen?”
    “Er hat die Farm geführt, nebenbei noch in der Stadt gearbeitet – einfach alles gemacht, was sich anbot. Deswegen hat ihm meine Stiefmutter ja die Farm überschrieben.”
    “Demnach war er wohl zum Farmer prädestiniert.”
    “Genau”, bekräftigte sie. “Vor fünf Jahren hat er uns alle ausgezahlt. Berechnet nach dem, was die Farm zu dem Zeitpunkt wert war, als mein Vater verschwand. Dabei hatte ich überhaupt nicht mit einer Zahlung gerechnet. Ohne ihn wäre der Hof unter den Hammer gekommen.”
    “Dann hat er also gut gewirtschaftet?”
    “Immerhin so gut, dass er mir voriges Jahr eine beträchtliche Summe borgen konnte. Da brauchte ich nämlich dringend eine neue Druckerpresse.”
    Dass sie einen Kredit erwähnte, hörte sich nicht sonderlich beruhigend für ihn an. Ob sie sein Honorar wirklich bezahlen konnte? An dem Fall gab es so einiges, das ihm nicht geheuer vorkam, angefangen mit der Frau, die neben ihm am Steuer saß. “Clay ist also älter als Sie?”, fragte er.
    “Wir waren beide sechzehn, als alles den Bach runterging.”
    “Und in dem Alter übernimmt er einfach mal so die Verantwortung für die ganze Familie? Mit sechzehn?”
    Sie lächelte dünn. “Er hatte immer schon den fähigsten Kopf in der Familie.”
    Aber auch fähig zu einem Mord? Sechzehn war verdammt jung für einen Mörder, obwohl es nicht das erste Mal gewesen wäre, dass ein Heranwachsender sich durch tödliche Gewalt Luft verschaffte. Madeline hatte Hunter gegenüber ohne Zögern zugegeben, dass Clay für sein Alter außergewöhnliche Fähigkeiten besaß. Und dass sich eine Waffe im Haus befand, das hatte sie ebenfalls erwähnt. “Wie groß ist Ihr Bruder?”
    “Deutlich über einsfünfundachtzig. Wieso?”
    “Ich bin nur neugierig.”
    Sie verkniff die Lippen. Hunter beugte sich nochmals vor, um ihr ins Gesicht zu schauen. “Etwas nicht in Ordnung?”
    “Auch er hat meinen Vater nicht umgebracht.”
    “Und das wissen Sie so genau, weil er ein wasserdichtes Alibi vorweisen kann?”
    “Ich kenne ihn.” Es klang energisch, voll unüberhörbarer Loyalität und Überzeugung. Dennoch gefiel ihm nicht, dass sie bisher nicht mit konkreten Beweisen aufwarten konnte. Da lag offensichtlich etwas im Argen.
    Nachdenklich massierte Hunter sich das Kinn und ließ sich ihre Bemerkungen durch den Kopf gehen. “Wo hat er sich an dem fraglichen Abend aufgehalten?”
    “Er war mit Freunden unterwegs. Kam aber dann irgendwann nach Hause.”
    “Und von dem Zeitpunkt an können nur seine Mutter und seine Schwestern für ihn bürgen?”
    “Mehr oder weniger.”
    Das unbehagliche Gefühl in Hunter wurde stärker. War sie sich in Bezug auf diesen Clay tatsächlich so sicher? Oder verschloss sie nur die Augen vor

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