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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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der Möglichkeit, dass er der Täter sein könnte? “Was ist mit dem ersten Mann ihrer Stiefmutter?”
    “Was soll mit ihm sein?”
    “Hat er nie angerufen? Ist er nie zu Besuch gekommen? Hat er nie Unterhalt gezahlt? Nicht mal ‘ne Weihnachtskarte geschickt?”
    “In unserer Jugend haben wir nie von ihm gehört. Wir wussten nicht mal, wo er steckte. Aber vorigen Sommer, da hat er sich blicken lassen. Da haben wir erfahren, dass er die ganzen Jahre in Alaska gelebt hatte. Er fliegt Angler zu entlegenen Seen und Flüssen. So etwas in der Art.”
    Hunter merkte sich diesen Hinweis für später vor, um ihn dann genauer zu untersuchen. Ein von seinem Vater verlassener Junge konnte durchaus eine tiefe Abneigung gegen männliche Erwachsene entwickeln. “Erzählen Sie mir noch ein bisschen von Ihrer Stiefmutter.”
    “Irene? Nachdem sie meinen Vater kennengelernt hatte, heirateten die beiden, und sie brachte ihre Kinder mit in die Ehe. Clay und ich, wir waren dreizehn. Grace war zehn, Molly acht.”
    “Haben Sie sich gut vertragen mit ihren Stiefgeschwistern?”
    “Sehr gut.”
    “Nie Zank und Streit?” Er machte keinen Hehl aus seiner Skepsis.
    “Na ja, die üblichen Kabbeleien. Aber ehrlich gesagt, die Jahre gehörten zu den besten in meinem Leben. Im Sommer, nach Feierabend, ließ Clay uns auf dem Schlepper mitfahren. Manchmal verkleideten Grace und ich uns mit Irenes alten Sachen und spielten Hochzeit. Molly bettelte dann so lange, bis wir sie schminkten. Und dann flochten wir uns aus Gänseblümchen Kränzchen, die wir uns aufs Haar setzten.”
    Ihre Schilderung beschwor ein merkwürdig anheimelndes Bild herauf, geradezu ein Bilderbuchidyll. “Und Ihre Stiefmutter?”
    Das Blinker-Relais tickte, als Madeline zum Überholen ansetzte. “Mom servierte uns dann immer Limonade und Plätzchen, und wir setzten uns alle draußen auf die Veranda und lasen in der Bibel. Ihren quietschenden Schaukelstuhl, den habe ich immer noch im Ohr … das Summen der Fliegen, die nachmittägliche Hitze …”
    “Dann war ihre Stiefmutter also genauso religiös wie Ihr Vater?”
    Ihr Stocken verriet ihm, dass ihr die Antwort auf diese Frage ausnahmsweise nicht so leichtfiel. “Nicht so ganz – das tägliche Bibelstudium, das ging auf meinen Vater zurück. Da kannte er kein Pardon. Aber Irene machte daraus dann ein Picknick. Sie hatte ein Händchen für so etwas. Bei ihr machten selbst die täglichen Pflichten auf einmal Spaß.”
    Hunter spürte, dass sie versuchte, sein Augenmerk von den Montgomerys abzulenken. Doch wenn ihr an einer Aufklärung des Verschwindens – beziehungsweise dieses mutmaßlichen Mordes – gelegen war, musste sie es wohl oder übel hinnehmen, dass er in alle Richtungen ermittelte, bis er eine Variante nach der anderen ausschließen konnte. “Hatten Ihre Stiefmutter und Ihr Vater auch mal Streit?”
    Sie klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne. Aus einem ihm unerfindlichen Grund fiel ihm das Kondom ein, das er kürzlich von einem Klienten bekommen hatte – ein Werbegeschenk, mit dem der Auftraggeber Reklame für seine Striptease-Bar machte. Hunter hatte es in sein Portemonnaie gesteckt, dachte aber nicht im Entferntesten daran, es zu benutzen, zumindest nicht in Mississippi. Zum Glück kam er wahrscheinlich gar nicht in Versuchung. Jedenfalls wegen Madeline Barker. Sie war ja schon in festen Händen.
    “Hin und wieder kam es zu Meinungsverschiedenheiten”, berichtete sie. “Aber nie zu Handgreiflichkeiten. Mein Vater wurde nicht mal laut. Und meine Mom … Irene, meine ich, die war auch nicht der streitsüchtige Typ. Wenn Dad ihr sagte, sie solle im Kirchenchor mitsingen, dann sang sie mit. Wenn sie einen Leichenschmaus organisieren sollte, dann organisierte sie den. Ihr reichte es, ihrem Mann eine brave Ehefrau zu sein.”
    “Weiter verlangte sie nichts vom Leben? Meinen Sie nicht, dass sie zu sehr unterdrückt wurde? Vielleicht missfiel es ihr ja heimlich, dass sie in der Ehe nichts zu sagen hatte.”
    “Vergessen Sie nicht, wir sind hier in den Südstaaten!”
    “Mir ist schon klar, Mississippi ist sicher nicht das Mekka des Feminismus. Das muss aber doch nicht bedeuten, dass ihr die Situation gepasst hat.”
    “Wenn Sie was gegen meinen Vater gehabt hätte, wäre mir das aufgefallen. Da war aber nichts.”
    Gut möglich. “Erwartete er denn, dass man ihm gehorchte?”, erkundigte er sich.
    “Das allerdings”, gab sie unumwunden zu. “Wie schon gesagt, in unseren Breiten ist das

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