Totgesagt
Armaturenbrettbeleuchtung tauchte Madelines rechte Seite in einen bernsteinfarbenen Schein. “Wie bitte?”, entfuhr es ihr.
Hunter starrte geradeaus ins Dunkel. “Sie haben schon richtig verstanden. Fahren Sie mich bitte zurück!”
“Das ist doch nicht Ihr Ernst!”
“Was haben Sie eigentlich erwartet?”, konterte er. “Dass ich hellauf begeistert bin von dem, was Sie mir da gerade erzählt haben?”
“Sie wollten nichts unversucht lassen, um den Mord an meinem Vater aufzuklären! Ihre Worte!”
Er richtete den Blick auf sie. “Da wusste ich auch noch nicht, dass Kinder betroffen sind!”
Mit einer heftigen Bewegung schaltete sie das Autoradio ganz ab. “Wenn Ihnen Kinder so am Herzen liegen, müssten Sie doch jede Gelegenheit nutzen, um sie zu schützen! Vielleicht legen sie ja einem aktiven Kinderschänder das Handwerk.”
“Von denen gibt es mehr als genug, glauben Sie mir!”
“Und sie müssen aus dem Verkehr gezogen werden, einer nach dem anderen.”
Da konnte er schwerlich widersprechen.
“Wenn die guten Menschen das Handtuch werfen”, fuhr sie fort, “dann überlassen sie den schlechten kampflos das Feld.”
Nur zählte er sich leider nicht zu den guten Menschen. Jedenfalls nicht mehr seit der Geschichte mit seiner Nachbarin. Inzwischen hatte er ja selbst eine Tochter, die er nicht schützen konnte – schützen vor den vielen neuen Männerbekanntschaften, mit denen sie Antoinette dauernd konfrontierte. Bis jetzt war alles gut gegangen mit der Kleinen, aber wer wollte schon voraussagen, was für einen Kerl sich ihre Mutter als Nächstes anlachte? Das ging Hunter permanent durch den Kopf.
Der Auftrag konnte verdammt brenzlig werden. Ursprünglich hatte Hunter ihn angenommen, um sich von der Wirklichkeit abzuschotten, nicht aber, um sich kopfüber in einen Schlamassel zu stürzen, der seine schlimmsten Befürchtungen noch übertraf. “Ich bin einfach nicht der richtige Mann dafür.”
“Jetzt sind Sie doch schon den ganzen weiten Weg hergekommen! Haben Sie denn einen Klienten, der Ihre Hilfe noch dringender braucht?”
Das konnte er wohl kaum behaupten – im Gegenteil. Die Leere, mit der er sich ganz bewusst umgab, die hatte er allmählich satt. Wann wollte er sich endlich zu etwas Sinnvollem aufraffen, wenn nicht jetzt? Etwa nach zwanzig, dreißig, vierzig weiteren Mein-Mann-betrügt-mich-Fällen? Er war doch nicht der Einzige, der eine verkorkste Ehe hinter sich hatte und bitter für seine Fehler bezahlen musste! Was ihn störte, war allerdings nicht allein die Gehässigkeit seiner Ex, sondern die Tatsache, dass er sich selbst in diese Lage gebracht hatte. Im Grunde genommen konnte er sich alles selber zuschreiben.
“Bekomme ich heute noch eine Antwort von Ihnen?”, drängte sie.
Er massierte sich die Schläfen. Was nun? Nichts wie weg? Oder gegenhalten und fighten? “Hatten alle dieselbe Größe?”, fragte er nach einiger Zeit.
“Nein.”
“Hat man sie jemandem zuordnen können?”
“Nur das Bikini-Unterteil.”
“Und?”
“Das gehörte Grace.”
Hunter spürte, wie ihm das Adrenalin durch den Körper schoss. Anscheinend führten alle Spuren in Madelines unmittelbares Umfeld. “Ihrer
Stiefschwester
?”
“Ja.”
“Woher wissen Sie das?”
“Ich selber habe den Slip erkannt, und sie hat ihn ebenfalls identifiziert.”
“Inzwischen ist sie erwachsen”, bemerkt er. “Da kann sie uns doch berichten, was passiert ist.”
Madeline antwortete nicht gleich.
“Was ist also passiert?”, fragte er.
“Laut ihrer Aussage überhaupt nichts. Sie sei nie belästigt oder gar missbraucht worden.”
Das war allerdings keine geringe Überraschung. “Aber die Gegenstände in dem Köfferchen, das hört sich doch nach Souvenirs an. Von dem Seil mal abgesehen.”
“Grace kann sich nicht erklären, wie das Höschen in das Täschchen geraten sein könnte. Sie meint, es sei von der Wäscheleine geklaut worden.”
“Und der Anblick, der hat sie nicht getroffen?”
Anscheinend wählte Madeline ihre Worte mit Bedacht. “Sie benahm sich ein wenig merkwürdig, aber sie war immer schon etwas … schwer zu durchschauen. Sie meinte, der Slip weise nicht unbedingt auf ein Verbrechen hin. Es könne auch ein Fetischist dahinterstecken, der solche Sachen sammelt. Sie hat als stellvertretende Staatsanwältin gearbeitet, daher kennt sie sich gut auf diesem Gebiet aus.”
“Das kaufe ich ihr nicht ab.” Was Grace früher einmal beruflich gemacht hatte, tat nichts zur Sache.
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