Totgesagt
im letzten Moment wieder um und sah ihr nach, wie sie die Treppe hinaufging.
Glaubte sie allen Ernstes, sie wäre zu alt für ihn?
Madeline konnte nicht aufhören, über Kirks Besuch zu grübeln. Doch das überraschte sie nicht. Sie hatte schon immer Probleme mit dem Loslassen gehabt, ganz gleich, ob es Menschen, Orte oder auch Dinge betraf. Deshalb war sie ja so lange mit Kirk zusammengeblieben. Dabei hatte sie von Anfang an geahnt, dass sie beide sich eher zu Freunden eigneten als zu einem Liebespaar, und bei etlichen Gelegenheiten auch versucht, ihm das schonend beizubringen. Er neigte jedoch dazu, sich mit dem zu begnügen, was ihm ohne große Mühe in den Schoß fiel. Nach mehr zu streben kam ihm nicht in den Sinn. Und so schien es ihn auch nicht zu stören, dass es ihrer Beziehung an Tiefgang fehlte. Der Bruch war einzig und allein Madelines Entscheidung gewesen.
Wie dem auch sei: Angesichts ihrer eigenen Probleme konnt sie sich im Grunde über sein Phlegma nicht beschweren. Sie hatte die ganze Garage, den Keller sowie zwei Schuppen vollgestopft mit allem möglichen Krempel. Zweifellos beruhte ihr Sammeltrieb auf der Tatsache, dass sie schon früh Mutter und Vater verloren hatte. Egal, jedenfalls musste sie diesen Tick loswerden. Das Bunkern wirkte sich mittlerweile auf zu viele Lebensbereiche aus. Wie sollte sie entschlossen eine Beziehung beenden, wenn sie sich nicht einmal von simplem, wertlosem Plunder trennen konnte? Kram, den andere Tag für Tag wegwarfen – alte Quittungen, abgelaufene Preisausschreiben; Reste von Alufolie, Einkaufstüten und alte Bindfäden. Sorgsam darauf bedacht, sich nicht als sammelwütigen Messie zu outen, achtete sie peinlich darauf, dass sie den ganzen Ramsch außer Sicht verstaute. Auf Dauer ließ sich das Problem dadurch allerdings nicht lösen.
“Alles okay mit Ihnen?”
Sie blickte von ihrem Teller auf und stellte fest, dass Hunter sie musterte. Er saß ihr am Tisch gegenüber, offenbar fertig mit seinem Frühstück. “Alles bestens”, erwiderte sie. Die Panik aber, die sie seit der Trennung von Kirk unterdrückt hatte, stieg nun wieder in ihr auf. Herzklopfen und feuchte Hände waren die Anzeichen dafür. Jemanden verlieren … Vor nichts hatte sie mehr Angst. Und sie mochte Kirk ja wirklich gern, liebte ihn auf vielfältige Weise. Sie kannten sich fast schon ein Leben lang. Was, wenn sie ihre Entscheidung später einmal bereute?
“Sie haben bloß ein paar Bissen gegessen.”
Madeline legte die Gabel nieder, mit der sie im Rührei herumgestochert hatte. “Keinen Appetit.”
“Beunruhigt Sie irgendetwas?”
Sie steckte mitten in einer Panikattacke. Zählte das für ihn als beunruhigend genug? Jedenfalls hatte sie keine Lust, sich ihm zu erklären, also verneinte sie kopfschüttelnd.
“Vielleicht sollten Sie ihn anrufen”, meinte er.
“Nein.” Sie war gerade dabei, innerlich aufzuräumen. Am liebsten hätte sie das Molly überlassen, die bei ihrem letzten Besuch Madelines alte Möbel und anderen Trödel schnell und souverän losgeworden war – indem sie alles bei einem Garagenverkauf zu Geld machte. Aber bei dieser Art Gerümpel konnte selbst sie Madeline leider nicht helfen.
Sie betrachtete den Ring, den Kirk ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Er war besetzt mit zwei kleinen Brillanten und ihrem Geburtsstein. An und für sich war Kirk ja ein feiner Kerl. War es da nicht besser, sich auf eine mittelprächtige Beziehung einzulassen? Selbst auf die Gefahr hin, dass er auch weiterhin keinen Nachwuchs wollte? Vielleicht würde sie ja damit leben können, niemals eigene Kinder zu haben. Sie war sechsunddreißig. Langsam musste sie eine Entscheidung fällen. Die Zeit lief ihr davon …
“Meinen Sie, Sie können sich auf das konzentrieren, was vor uns liegt?”, fragte Hunter, womit er ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte.
Für ihre Begriffe klang das ominös. “Auf das, was vor uns liegt?”, wiederholte sie.
“Zeit für einen kleinen Nostalgietrip.”
“Wie meinen Sie das?”
“Ich möchte, dass Sie mir alte Fotoalben zeigen. Poesiealben, Briefe – alles, was Sie noch von Ihren Eltern haben. Und von Irene, Clay, Grace, Molly. Von jedem, der irgendwie zur Familie gehört.”
“Was ist mit den Polizeiakten?” Sie hatte angenommen, er werde die Unterlagen studieren und dann sofort mit den Befragungen beginnen, um dadurch das Puzzle Stück für Stück zusammenzufügen.
“Die haben doch bislang niemanden zum Mörder Ihres
Weitere Kostenlose Bücher