Totgesagt
beweisen, dass der Verdacht völlig aus der Luft gegriffen war.”
Hunter mochte das nicht recht glauben. “Wieso hat sie dann nicht tagsüber damit angefangen?”
“Weil sie wusste, dass ich es ihr niemals erlaubt hätte.” Zum ersten Mal seit der Pattsituation zwischen ihnen meldete sich Clay wieder zu Wort.
“Wieso nicht?”, fragte Hunter.
Clay lächelte humorlos. “Weil ich alles andere als komplett verrückt bin.”
“Schon einige Zeit wird versucht, Clay die Sache anzuhängen”, erläuterte Allie. “Er durfte nicht riskieren, dass man zufällig auf irgendetwas stieß. Etwas, das sich als Mordmotiv interpretieren ließ, oder was weiß ich … Die Menschen sehen halt, was sie sehen wollen. Ich war zehn Jahre im Polizeidienst, fünf davon im Dezernat für ungelöste Fälle. Ich habe so was schon einige Male erlebt.”
“Dann stehen Sie also voll hinter der Entscheidung Ihres Mannes, nicht mit mir zu kooperieren?”, fragte er.
Ihr Lächeln erlosch. Sie rückte enger an Clay heran. “Voll und ganz.”
Hunter nickte Madeline zu. “Ich wäre hier fertig.”
“Sie wollen nicht wissen, wo Jed den Trecker repariert hat?” Sie war überrascht über seine abrupte Kehrtwende.
Hunter hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. “Können Sie mir ja auf dem Weg zum Auto zeigen.”
Als sie ihm die Stelle dann letztlich zeigte, war er wenig interessiert. Und er sprach erst wieder, als sie am Wagen angelangt waren. Er stieg ein, knallte die Tür ins Schloss und sagte: “Ihr Stiefbruder hat etwas zu verbergen.”
12. KAPITEL
W ährend der Fahrt vermied Madeline jeden Blickkontakt – aus Angst, er könne die Unsicherheit bemerken, die sie mit so viel Mühe zu unterdrücken suchte. Eine tief empfundene Verunsicherung, die sie oft hinter ihren lautstarken Unschuldsbeteuerungen, was Clay anging, verbarg.
“Sie machen denselben Fehler wie alle anderen”, klagte sie tonlos.
Als er keine Antwort gab, schaute sie doch zu ihm hinüber und stellte fest, dass er sie traurig musterte.
“Tut mir leid”, sagte er. “Aber wenn Sie die Wahrheit nicht vertragen, sollten wir die Sache auf der Stelle beenden.”
“Ach, hören Sie auf!” Gereizt winkte sie ab. “Clay schneidet beim ersten Eindruck halt nicht gut ab, das ist alles. Man muss ihn erst kennenlernen.”
“Und Sie kennen ihn.”
“Ja, sicher!”
“Er macht es einem wahrlich nicht leicht.”
Sie schüttelte den Kopf. Möglich, dass Clay seine dunklen Geheimnisse hatte, aber Mord gehörte mit Sicherheit nicht dazu. “Wenn Sie wüssten, wie schwer er es früher hatte, würden Sie mehr Verständnis für ihn zeigen.”
“Na, dann erzählen Sie mir doch mal ein bisschen über ihn”, forderte er sie auf.
Sie stellte sich den stolzen, schlaksigen Jungen vor, der Clay mit sechzehn gewesen war; jener Junge, der sich als so tough wie ein Erwachsener erwiesen hatte. Sicher, ihr Stiefbruder hatte die Familie damals zusammengehalten, aber sein wahres Wesen zeigte sich erst, wenn man die feineren Details näher betrachtete. “Er zog dauernd dieselben Klamotten in die Schule an, nur damit für Grace und Molly und mich ab und zu mal ein neues Kleid drin war. Er musste seine Freunde aufgeben, weil er einfach keine Zeit mehr hatte, etwas mit ihnen zu unternehmen. Er verwandelte sich von einem der beliebtesten Schüler zum absoluten Einzelgänger, der seinem Alter weit voraus war. Häufig ließ er die Mahlzeiten aus, damit wir satt wurden. Er tat dann so, als hätte er keinen Hunger, damit wir kein schlechtes Gewissen bekamen. Mit sechzehn, siebzehn, achtzehn Jahren hat er geschuftet wie ein Pferd, viele Stunden für wenig Lohn, nur damit wir ein Dach über dem Kopf hatten. Und gleichzeitig legte er sich mit jedem an, der uns was tun wollte oder auch nur schief von der Seite anguckte.” Sie nahm ganz kurz den Blick von der Fahrbahn, um Hunter in die Augen zu sehen und festzustellen, ob er ihr auch folgen konnte. “Ich wüsste nicht, wer das in seinem Alter so hinbekommen hätte. Meine ganze Familie steht in seiner Schuld. Und ich ganz besonders. Er war unser Beschützer – in gewisser Hinsicht eine Vaterfigur für mich, obwohl wir gleichaltrig waren.”
Die Leidenschaft in ihrer Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht, denn Hunter wurde zunehmend nachdenklich. “Und Irene? Wie stand sie zu ihm?”
“Mit der Zeit stützte auch sie sich auf ihn, als wäre er das Elternteil und sie das Kind. Er tat, was getan werden musste, egal was für Opfer dafür von ihm
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