Totgesagt
nahm einen entschuldigenden Tonfall an – “… war er der Meinung, er müsste Maddy die persönlichen Dinge ihres Vaters aushändigen.”
Hunter sparte sich eine eingehende Untersuchung. Was sich zu Lebzeiten von Madelines Vater in diesem Zimmer befunden hatte, war längst entfernt, bis hin zum Teppichboden. Stattdessen trat er ans Fenster und schaute hinaus, bemüht, die Farm aus Barkers Blickwinkel zu betrachten.
Von diesem Standpunkt aus hatte man alles gut im Blick: die geschotterte Einfahrt, das Hühnergehege rechts sowie die Gartentür. Das Zimmer war vermutlich nicht sonderlich schick eingerichtet gewesen, lediglich ein sehr funktionelles und praktisches Büro. Von hier aus konnte er früh erkennen, wenn Besuch kam. Er hatte zudem die Kinder im Auge, wenn diese draußen spielten oder sonstige Arbeiten verrichteten.
Oben über dem Fenster befanden sich Bohrlöcher in der Wand, Anzeichen dafür, dass hier einmal Jalousien montiert waren. Wegen der Diskretion. Genau wie der Sicherheitsriegel.
“Das da drüben war das Zimmer von Grace”, bemerkte Madeline, die nun ebenfalls an die Scheibe getreten war.
“Welches?”
Sie zeigte auf das Farmgebäude und wies auf die Wand über der Veranda. “Das Eckfenster, neben dem Rosenspalier.”
“Sie hatte ein eigenes?”
“Ja, aber allein war sie nur selten. Ich teilte mir eigentlich ein Zimmer mit Molly. Sie war unsere Jüngste, und ich sollte auf sie aufpassen. Aber Grace hatte zwei Einzelbetten in ihrem Zimmer und bettelte mich immer an, ich solle doch bei ihr schlafen.” Sie lächelte wehmütig. “Ich kenne sonst niemanden, der so eine Angst vor der Dunkelheit hat wie Grace damals. Wenn sie noch spätabends Hausaufgaben machte und danach für den nächsten Tag duschen wollte, dann weckte sie mich und bat mich, mit ihr ins Badezimmer zu gehen. Ich hockte dann immer auf dem Schränkchen und wartete.”
“Ich war als kleines Mädchen auch so ein Angsthase”, ergänzte Allie. “Aber das lag an meinem großen Bruder. Seine Kumpel und er, die wummerten abends gern bei uns gegen die Wände oder kratzen dran herum, nur um mich zu erschrecken. Das machte denen einen Heidenspaß.”
“Schreckhaft war ich nie”, betonte Madeline. “Vorm Schwarzen Mann hatte ich jedenfalls keine Angst.”
Clay war zwar nicht hereingekommen, aber auch nicht wieder zurück an seine Arbeit gegangen. Rücklings gegen den Türpfosten gelehnt, beobachtete er Hunter und die beiden Frauen. Bei Madelines Bemerkung verfinsterte sich seine Miene, als könne er ihren Schmerz nachempfinden. Er war ein zorniger, verbitterter Einzelgänger, doch seine Stiefschwester hatte er offensichtlich gern, ganz gleich, was ihrem Vater zugestoßen sein mochte.
“Wovor denn dann?”, fragte Hunter.
Madeline holte tief Luft und begegnete seinem Blick. “Dass ich mal so unglücklich werden würde wie meine Mutter.”
Einen Elternteil zu haben, der am Leben dermaßen verzweifelte, das hätte wohl jedem Kind Angst eingejagt. “Und heute?”, fragte er leise. “Fürchten Sie sich immer noch davor?”
Die Frage hatte mit der Ermittlung an sich nichts zu tun. Im Grunde genommen ging es ihn auch nichts an. Nur strahlte Madeline Barker zuweilen eine so herzzerreißende Einsamkeit aus, dass er gar nicht anders konnte. Am liebsten hätte er den gehetzten Blick, der manchmal in ihren Augen stand, für immer von ihrem Gesicht verscheucht.
“Nein”, sagte sie. Aber er war ziemlich sicher, dass sie ihn in dieser Hinsicht angelogen hatte.
Madeline war es gar nicht recht, dass sie Hunter zur Farm bringen sollte. Sie wusste, dass Clay etwas dagegen hatte, denn ihr Stiefbruder legte großen Wert auf seine Privatsphäre. Und nun überfiel sie ihn hier trotzdem und führte einen Privatdetektiv auf seinem Hof herum. Dabei hatte die Polizei das Anwesen bereits zweimal durchsucht – mit richterlichem Beschluss, wohlgemerkt. Und selbst da hatte Clay penibel darauf geachtet, dass die Beamten sich an die im Durchsuchungsbefehl aufgeführten Bereiche beschränkten. Darüber hinaus hatte er ihnen keinen Spielraum gelassen. Er traute den Behörden nicht über den Weg.
Ihrem Detektiv ebenfalls nicht, das war nicht zu übersehen. Es gefiel ihr gar nicht, dass sie ihr gutes geschwisterliches Verhältnis missbrauchte, um Hunter überhaupt Zutritt zu verschaffen. Aber er musste ungehinderten Zugang zu allem haben; andernfalls konnte er seinen Auftrag nicht gescheit ausführen.
Sie stand mitten in dem ehemaligen
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