Totgesagt
auf ihren Wimpern. “Sagen Sie, dass das alles nicht wahr ist.”
Das konnte er nicht. Dennoch hätte er gern ihren Schmerz gemildert, ihre Last für eine Weile erleichtert. Er streifte ihren Mund sachte mit den Lippen und flüsterte. “Alles in Ordnung, Maddy. Das wird schon wieder …”
Dabei hatte er es eigentlich bewenden lassen wollen – bei einem liebevollen, tröstlichen Küsschen. Sie aber öffnete die Lippen und presste sie dermaßen schnell und gierig auf die seinen, dass er im Nu ihren Kopf mit seinen Händen umfasste und ihren Kuss heftig erwiderte. Sie reagierte hastig, hektisch; nötigte ihn regelrecht dazu, sie immer leidenschaftlicher zu küssen, bis beide so außer Atem waren, dass sie sich keuchend voneinander lösen mussten.
“Das ist gegen alle Vernunft”, brachte er schließlich mit Mühe hervor. “Sie denken nicht rational. Ach, verdammt, ich kann selber auch schon nicht mehr logisch denken. Sie so zu küssen, das … das führt nur dazu, dass ich … dass ich noch mehr von Ihnen will.”
Den ersten Teil bekam sie anscheinend nicht mit, den zweiten wohl. Hunter bei der Hand gefasst, rannte sie in Richtung auf einige Deckung bietende Bäume und zerrte ihn einfach mit.
Ray schob seinen Einkaufswagen den einen Gang hoch und den nächsten wieder hinunter. Für Lebensmittel konnte er nicht viel ausgeben. In den Wintermonaten war die Arbeit knapp, und das bisschen Geld, was übrig blieb, brauchte er für die Porno-Internetseiten und für den Billard-Saloon. Da er nun aber mal unterwegs war, fühlte er sich sogar recht wohl, nicht mehr so eingesperrt. Vielleicht solltest du wegziehen, dir eine neue Bleibe suchen, sagte er sich. Er hatte sich oft gefragt, ob es mal so enden würde.
Nur: Wohin hätte er umziehen sollen? Und wie sollte er an das nötige Kapital gelangen? Er kam ja so kaum über die Runden. Sein Wohnmobil war geleast; an Eigentum besaß er weiter nichts als das ramponierte Mobiliar und seinen alten Kleinlaster. Den durfte er aber nicht verkaufen, denn sonst hätte er ja nicht arbeiten können. Im Übrigen gefiel es ihm hier in Stillwater. Er kannte jeden; da wollte er sich lieber nicht vorstellen, wie einsam und fremd es anderswo für ihn sein musste. Noch näher bei seiner Mutter und seiner Schwester durfte er jedenfalls nicht wohnen. Sie waren weiß Gott schwierig genug gewesen, die letzten Wochen mit den beiden. Sie hackten dermaßen auf ihm herum – da hätte er sie schon nach einem Tag glatt umbringen können!
Nein, Umzug war keine Lösung. Falls er hier nicht die Stellung hielt und sein Geheimniss hütete, kam womöglich die Wahrheit ans Licht. Dann hätte er sowieso die Polizei am Hals, egal wo er wohnte. Seine Mutter, seine Schwester, seine Bekannten – alle würden ihn verabscheuen. Alle! Schlimmer noch: Seine Exfrau konnte dann lauthals in die Welt hinausposaunen, dass sie ihn die ganze Zeit richtig eingeschätzt hatte. Entweder würde er auf der Flucht sein oder im Gefängnis landen.
Ein Schauder überlief ihn. Bloß nicht in den Knast!
Brauchst du auch nicht, solange du vorsichtig bist, mahnte er sich. Er steigerte sich mal wieder in etwas rein, das war alles. Er musste einfach in Deckung bleiben, wie er’s sich zu Hause schon vorgenommen hatte.
Als er an der Backwarentheke vorbeikam, bekam er zufällig mit, wie sich die Verkäuferin Beth Ann Cole mit Mona Larsen unterhielt, der sie gerade ein paar Donuts in eine Tüte stopfte.
“Der sieht echt schnuckelig aus, was?”
“Zum Anbeißen. Wer ist denn das überhaupt?”
“Ein Hunter soundso.”
“Und was sucht der hier?”
“Das ist doch dieser Ermittler aus Kalifornien. Den Madeline sich besorgt hat.”
Ermittler? Ray wollte sein Gefährt schon zur Käsetheke weiterschieben, aber bei diesem Wort hielt er inne und tat so, als betrachte er eine Schachtel Kekse. Ein Privatdetektiv etwa?
Mist, verdammter!
“Meine Güte, bei dem hört sich sogar der Beruf sexy an!”, sagte Mona aufgeregt lachend. “Was meinst du, wie lange bleibt der wohl hier?”
“Bis der Fall gelöst ist, würde ich sagen.”
“Na, das kann ja dauern. Vielleicht sollten wir uns mal bei ihm vorstellen.”
“Klar, warum nicht?”
“Sag mal, hast du ‘nen Neuen?”, fragte Mona jetzt, womit die Unterhaltung in eine Richtung steuerte, die Ray nicht mehr interessierte. Also setzte er seinen Einkauf fort. Doch Beth Ann und Mona waren nicht die Einzigen, die sich über aktuelle Entwicklungen unterhielten. An der Kasse brachte
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